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Die Volksbefragungen – direkte Demokratie oder eine Modeerscheinung?

Showman Slawi Trifonow (links) überreicht die gesammelten Unterschriften für die Durchführung eines Referendums.
Foto: BGNES

Bulgarien hat keine allzu lange Erfahrung mit Volksbefragungen. Dafür aber ist unser Land gerade dabei, in einem Jahr gleich zwei Mal das Wählervolk zu befragen, dazu noch zu beinahe den gleichen Fragen. Und so sind wir heute beinahe dabei, dieses uralte Instrument der direkten Demokratie in ein Fake zu verwandeln.

Es ist den Bürgern in Bulgarien bis heute unerklärlich, warum sich die politische Elite dieses Landes seit der Wende vor den Volksbefragungen fürchtet. 2004 hatte sich der damalige Außenminister des Landes Solomon Passi die herablassende Bemerkung erlaubt, das bulgarische Volk sei für ein Referendum noch nicht „gereift“. Damals drehte sich die Diskussion darüber, ob Bulgarien in einem Referendum über seinen Beitritt zur Europäischen Union entscheiden soll. In alter totalitärer Manier behaupteten die Nachwendepolitiker, wie Passi, dass im Land „ein beneidenswerter Konsens“ über die Zukunft des Landes bestünde, denn in den Meinungsumfragen sprachen sich rund 80 Prozent der Befragten für einen EU-Beitritt aus. Der Beitritt kam drei Jahre später. Und Bulgarien war eines der wenigen Länder neben Zypern, die keine Volksbefragung über diese so wichtige Entscheidung in der Geschichte des Landes durchgeführt haben.

Heute erleben wir genau das Gegenteil – heute will jeder ein Referendum durchführen lassen. In der vergangenen Woche ließ das Parlament in Sofia eine Volksbefragung zu, die im Herbst, parallel zu den Präsidentschaftswahlen, stattfinden soll. Die Initiative dazu ergriff der Showmaster Slawi Trifonow, der dazu 400.000 Unterschriften sammeln konnte. Die Abgeordneten haben nicht einmal über die sechs vorgeschlagenen Fragen debattiert. Dabei sind manche verfassungswidrig. So stellt sich der Fernsehstar vor, dass die Abgeordneten in Bulgarien künftig in einer Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen mit absoluter Mehrheit bestimmt werden. Zu seinen Fragen gehört auch diese nach der Einführung der elektronischen Stimmabgabe, die bereits eine klare Antwort in einem Referendum Ende letzten Jahres bekommen hat. Der Kommentar des Staatschefs, der Ideenvater der Volksbefragung Ende 2015 war, fiel kurz und klar aus: „Wie oft sollen wir dem Volk ein und dieselbe Frage stellen?“ Verwirrend und für bulgarische Verhältnisse unpassend erscheint auch die Frage, ob die Leiter der regionalen Polizeistationen künftig in einer direkten Mehrheitswahl gewählt werden sollen. Der TV-Moderator kam auch mit seiner Frage durch, ob die Zahl der Parlamentsabgeordneten von 240 auf 120 halbiert werden soll.

Das will auch Wesselin Mareschki aus Warna wissen: Im Blickfeld ist nämlich noch eine Volksbefragung. Der Geschäftsmann möchte der Wählerschaft fünf Fragen stellen. Noch läuft die Überprüfung der gesammelten Unterschriften in Unterstützung dieses Vorstoßes. Nichts desto trotz war aus Kreisen der Regierung bereits zu hören, dass auch dieser Volksentscheid stattfinden wird. So werden wir im Herbst aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur für einen neuen Präsidenten, sondern auch in zwei Volksbefragungen abstimmen müssen.

Und so erleben wir heute eine neue Modeerscheinung in der bulgarischen Politik. Nachdem jahrelang wichtige, ja zukunftsträchtige Entscheidungen ohne Volksbefragungen getroffen worden sind, kommt heute jeder nach Lust und Laune mit seiner Idee für ein Referendum durch. Ob das mit der direkten Demokratie zu tun hat? Wohl kaum.

Redaktion: Vessela Vladkova




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