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Kisseltschowo – ein Dorf, in dem das wahre Leben zuhause ist

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Foto: artel13.com

Das Leben vergeht, während man Pläne für die Zukunft schmiedet. Sobald man sich dieser Weisheit bewusst geworden ist, hängt man die bloße Existenz an den Nagel und beginnt das wahre Leben. Der Alltag verändert sich, die Eintönigkeit scheint wie weggeblasen und man beginnt, sich mehr Dinge über einen selbst bewusst zu werden. Und dann kommt auch schon die Entscheidung, die sichere und vorherbestimmte Lebensbahn zu verlassen. Die Schriftstellerin Mona Choban tat diesen Schritt – sie kehrte dem geregelten Leben und dem Glanz von Moskau und Paris den Rücken zu und ließ sich in einem Rhodopen-Dorf nieder.

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Kisseltschowo ist ein sehr kleines Dorf mit insgesamt 32 Häusern, in denen 14 Menschen leben“, erzählt die Schriftstellerin. „Das Dorf liegt 1.200 Meter über dem Meeresspiegel und die Umgebung ist vollständig entweder in Grün oder in Weiß getaucht – eben je nach Jahreszeit. Hier ist es sehr still und ausgesprochen ruhig und das hat mich gleich beim ersten Mal stark beeindruckt. Als ich begann, einige Gebäude zu renovieren, widmete ich mich voll und ganz dieser Arbeit und sie verwandelte sich in ein Teil von mir. Für mich ist es ein Erlebnis, Dinge zu machen, die mir äußerst interessant erscheinen und die ich sehr gern tue.“

СнимкаVor 7 Jahren verschlug es Mona Choban ganz zufällig in das Dorf. Sie verliebte sich auf den ersten Blick und kaufte gleich mehrere Häuser, die sie mit Hilfe von 60 Leuten, die nicht einmal Baufachleute sind, wieder auf Vordermann brachte. „Es gibt immer Menschen, die etwas neues lernen möchten“, kommentiert die Schriftstellerin.

Die Häuser sind in ihrem ehemaligen Glanz wiedererstrahlt, leben aber ein neues Leben, denn ihre neue Eigentümerin hat sie mit alten Möbeln ausgestattet, die sie in Paris gekauft hat. In einem der Häuser lebt die Künstlerin selbst, während die anderen nunmehr ein Art-Zentrum bilden, das sie „Artel 13“ genannt hat. Die Häuser dienen für Künstlertreffen, Workshops und als Werkstätten für verschiedene Handwerke.

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Jeder kann hierherkommen, die Stille des Dorfes genießen und im Rahmen der Workshops etwas Neues hinzulernen“, erzählt uns weiter Mona Choban. „Es sind Dinge, die Menschen können und gern weitergeben würden. Neben den kulinarischen Ateliers, werden auch Treffen für verschiedene Handwerke durchgeführt. Wir fertigen u.a. Filz und auch Seife an. Jedes Jahr gestalten wir ein anderes Programm, damit für jeden etwas dabei ist und das Interesse an unseren Veranstaltungen erhalten bleibt. Die Idee besteht darin, keine Schranken zu setzen und der Phantasie freien Lauf zu lassen.“

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Filz ist ein Material, das vielseitig eingesetzt werden kann. Man kann daraus Teppiche, aber auch Broschen machen. In Bulgarien hat man einst Sattel aus Filz gemacht, aber auch zu Wohnzwecken verwendet, denn Filz ist wasser- und wärmebeständig. Als Ausgangsmaterial dient unbearbeitete Schafswolle, die mittels Waschen verfilzt wird. Für gewöhnlich macht man das Ende des Sommers, wenn es heiß ist, um einen natürlichen Trocknungsprozess zu gewährleisten.

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Für Mona Choban hat sich die Wiederbelebung des vom Absterben bedrohten Dorfes Kisseltschowo in eine ganz persönliche Mission verwandelt – sie hat einen Teil ihrer Seele investiert. Mit ihrer Hilfe haben mehrere Familien das Dorf für sich entdeckt, haben sich ein Haus gekauft und sind hierher gezogen. Kisseltschowo liegt derart abgeschieden, dass es nicht einmal mobile Telefonverbindungen gibt. Auch gibt es kein einziges Geschäft und die Nahrungsmittel muss man sich in der nächstgelegenen Stadt – Smoljan, kaufen. Dafür kann man sich jedoch an verschiedenen Workshops beteiligen, beispielsweise zur Herstellung von Brot, Joghurt, Käse und Keksen mit Fruchtstücken – alles nach alten örtlichen Hausrezepten. Die Einheimischen und die neuen Dorfbewohner sind mittlerweile zu einer großen Familie verschmolzen, die Gäste freudig aufnimmt, die hierhergekommen sind, um sich an den verschiedenen Initiativen zu beteiligen. Dieses Zusammenleben ist in den Rhodopen seit alters her Tradition; es hat den Menschen geholfen, besonders in schwierigen Zeiten über die Runden zu kommen.

Die Zeiten haben sich geändert, doch das Großstadtleben hat die Menschen verwöhnt und ihnen Abhängigkeiten suggeriert. Etliche Menschen, die es nun aufs Land verschlägt, begreifen, dass es kein Drama ist, wenn man beispielsweise keinen Fernseher hat oder das Lieblingsshampoo nicht aufzutreiben ist. Im Gegenteil! Das Leben auf dem Land hilft, die wahren Werte im Leben zu erkennen und sich der Kommunikation jenseits der sozialen Netze zu entsinnen. Man kann Freunde fürs Leben kennenlernen und schöne Erinnerungen für ein ganzes Leben anhäufen.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

Fotos: Privatarchiv und artel13.com



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