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Viele Wahrheiten, ein Schuss Phantasie und grenzenlose Liebe zu Bulgarien

Ilko Minev stellt sein Buch „Im Schatten der verlorenen Welt“ vor, das in Brasilien verlegt wurde

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Erfolgreiche Geschäfte, große Familie, die stets zusammenhält und ständige Neugier gegenüber Traditionen und Geschehnisse von heute – so fasst Ilko Minev in wenigen Worten sein Leben zusammen. Was dahinter steht, kann jedoch nicht auf die Schnelle erzählt werden. Er lebt in Manaus, Brasilien, wo er auch seine Bücher herausgibt. Heute stellt er im Nationalen Kulturpalast in Sofia sein drittes Werk vor, das er „Im Schatten der verlorenen Welt“ betitelt hat. Die Übersetzung aus dem Portugiesischen besorgte Rumen Stojanow – ein namhafter Vertreter der Lusitanistik, Hispanistik sowie Schriftsteller.

СнимкаDas Buch schneidet ein für Brasilien wichtiges Ereignis an“, erzählte uns Rumen Stojanow. „Als die Portugiesen nach Südamerika kommen, treffen sie eine indianische Bevölkerung mit rund 1.000 Stämmen an. Ihre Zahl nimmt aus verschiedenen Gründen ab und ihre einstigen Wohngebiete werden von den Neuankömmlingen eingenommen. Im Endeffekt beschließt die brasilianische Regierung, die Nachkommen der Indianer für die von ihnen vor Jahrhunderten weggenommenen Territorien, Flüssen, Seen usw. zu entschädigen. Es werden Reservate gebildet, die den Indianern übereignet werden. Doch darin leben europäische Nachkommen, die die Territorien in einer bestimmten Frist räumen müssen. Einige der brasilianischen Familien leben dort seit mehr als 100 Jahren und besitzen legale Eigentumsdokumente. Es ist schwer, Gerechtigkeit walten zu lassen. Gott sei Dank kommt es nicht zu bewaffneten Zusammenstößen, es bleibt jedoch die Verbitterung. Momentan macht die indianische Bevölkerung in Brasilien nicht einmal 1 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Dank der Regierungsmaßnahmen besitzen sie etwas mehr als 12 Prozent des Landesterritoriums – Gebiete, die zusammengenommen doppelt so groß wie Spanien sind. Diese Diskrepanz weckt Unzufriedenheit. All das ist im Buch von Ilko Minev literarisch verarbeitet. Darin geht es auch um die Bulgaren in Brasilien, vor allem Literaten. Bulgarische Autoren haben in Brasilien über 140 Bücher verfasst. Sie wurden entweder dort geschrieben, oder wurden aus verschiedenen Sprachen übersetzt. Es handelt sich um Prosa, Lyrik, Publizistik und wissenschaftliche Abhandlungen. In dieser Beziehung nimmt Ilko Minev einen wichtigen Platz ein. In seinen Büchern ist das Bulgarische immer präsent. Unter allen Bulgaren kennt er das Amazonas-Gebiet mit Sicherheit am besten, da er dort seit mehr als 30 Jahren als Ehrenkonsul der Niederlande auftritt. Sei letztes Buch wurde, sogar zu meiner eigenen Überraschung, für eine bestimmte Zeit zum meistgelesenen Buch in Brasilien. Darin schneidet er, wenn auch mit den Mitteln der Prosa, eine wichtige Frage an, die bis dahin von den brasilianischen Schriftstellern unbeachtet geblieben war.

Wer ist Ilko Minev und warum machte er sich auf den Weg ins ferne Brasilien? Wann entdeckte er seine literarische Veranlagung? Mit diesen Fragen wandten wir uns an Minew selbst:

Im Jahre 1969 passierte etwas in meinem Leben, das mich überraschte und mich zu einem Dissidenten machte. Im Grunde genommen wurde einer meiner besten Freunde Dissident und die Staatssicherheit wollte nicht glauben, dass ich damit nichts zu tun habe. Mir wurde klar, dass ich keine Zukunft mehr in Bulgarien hatte. Es ergab sich eine Möglichkeit, nach Belgien zu reisen, wo ich Wirtschaftswissenschaften studierte. 1972 reiste ich dann nach Brasilien. Bald nach meiner Ankunft fuhr ich nach Manaus – eigentlich nur für drei Monate und nun bin ich schon 46 Jahre dort. In Bulgarien hatte ich Deutsche Philologie studiert und hatte schon immer ein großes Interesse an Literatur. Als ich jedoch ausreiste, musste ich mich für etwas anderes entscheiden. So wurden die Wirtschaftswissenschaften meine zweite Liebe. Als ich vor 5-6 Jahren in Rente ging, kehrte ich zu meiner ersten Liebe zurück, auch wenn ich die ganze Zeit ein aktiver Leser geblieben war. Ich kenne mich ausgezeichnet in den Werken der bulgarischen Klassiker aus und denke, dass vor allem die Poeten Weltliteratur geschaffen haben. Vielleicht bin ich zu dieser Ansicht gekommen, weil ich die Lyrik besser auf Bulgarisch empfinde, als in anderen Sprachen.“

In seinen ersten 10 Emigrantenjahren konnte Ilko Minew nicht seine Heimat besuchen, doch mittlerweile ist er jedes Jahr in Bulgarien.

Wenn man fern der Heimat lebt, fehlen einem die Sprache, die Freunde und die Küche sehr“, gesteht der Schriftsteller. „Immer wenn ich nach Sofia komme, schaue ich zuerst auf das Witoscha-Gebirge und in mir werden Erinnerungen aus meiner Jugendzeit wach. Ich liebe das Meer sehr, neben Sofia auch die Städte Plowdiw und Russe. In den letzten Jahren habe ich die Rhodopen für mich entdeckt, die ich einst nicht so gut kannte. Meine Ehefrau ist Brasilianerin, doch unsere Kinder sind beides: Bulgaren und Brasilianer. Ich bin stolz darauf, dass ich in mir drei Kulturen vereine. Die eine Kultur ist die meines Heimatlandes, in dem ich aufgewachsen bin; die zweite Kultur ist die Brasiliens, wo ich 50 Jahre lang gelebt habe. Meine Mutter ist wiederum jüdischer Abstammung und von ihr habe ich die Hochachtung gegenüber der Jahrtausende alten Kultur dieses Volkes geerbt. In meinen Büchern gebe ich Ereignisse wider, die ich kenne und die sich tatsächlich ereignet haben, aber eben in Romanform. Darin sind viele Wahrheiten enthalten, aber auch ein Schuss Phantasie. Man darf daraus keine Schlussfolgerungen über mein Leben ziehen. Ich schöpfe die Themen auch aus dem Leben meiner Onkel, die viele Jahre vor mir nach Brasilien gefahren sind. Ich versuche bei strittigen Fragen neutral zu bleiben und überlasse dem Leser eine eigene Position zu beziehen. Doch das ist nicht immer möglich. Meine ersten beiden Bücher kamen sehr gut an. Im dritten griff ich ein dorniges Thema aus der Geschichte Brasiliens auf. Rund ein halbes Jahr stellte ich Nachforschungen an. Offensichtlich habe ich in eine Wunde gegriffen, denn das Buch rief widersprüchliche Reaktionen hervor… Ich bin traurig, dass sich in der ganzen Welt die Gesellschaft zu spalten beginnt, was gefährlich ist. Ich hoffe, dass wir eines Tages wieder zur goldenen Mitte zurückkehren. Was Bulgarien betrifft – ich bin ein Teil dieses Landes und es ist auch ein Teil von mir. Ich bewahre nur gute Erinnerungen auf.“

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

Fotos: ilkominev.com und lira.bg



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