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Am 24. September 2007, eine Woche nach Schulbeginn, traten 80% der Lehrer in Bulgarien in einen unbefristeten landesweiten Streik – für Bulgarien bis dahin präzedenzlos. Ihre Forderung – stufenweise Gehaltserhöhung. Sie forderten eine Verdoppelung des damaligen Durchschnittsgehalts von 170 Euro und eine deutliche Erhöhung der Bildungsausgaben.
Die Lehrergehälter in Bulgarien zählen bis heute zu den niedrigsten in der EU. Sechs Wochen lang blieben die Lehrer den Klassenzimmern fern und organisierten täglich Proteste in allen Großstädten des Landes. Der Höhepunkt war am 18. Oktober, als knapp 80.000 Lehrer vor dem Regierungssitz protestierten. Am 5. November kehrten die Lehrer in die Klassenzimmer zurück. Erreicht haben sie auch noch, dass Schulen und Kindergärten mit mehr Mitteln aus dem Staatshaushalt dotiert werden.
Der Lehrerstreik war die dickste Ohrfeige für die Politiker in Bulgarien, die sie je bekommen hatten. Zunächst reagierten sie unbeholfen, dann zynisch – es sei unverschämt, eine Verdoppelung der Gehälter in einem krisengeschüttelten Land zu fordern, sagten sie. Die Regierung versuchte, das Problem auszusitzen. Und letztlich gelang ihr das auch. Nach mühsamen Verhandlungen lenkte die Lehrergewerkschaft dem Regierungsvorschlag ein – maximal 450 Euro Monatsgehalt. Das entspricht knapp 20% der geforderten Gehaltserhöhung.
Erst zwei Wochen waren seit Beginn des neuen Schuljahrs vergangen, da fand sich der Nachwuchs statt auf den harten Schulbänken in den heimischen Wohnzimmern wieder. Häufig zum Leidwesen der Eltern, die die Kinder nun beaufsichtigen mussten. Doch die protestierenden Lehrer wurden dennoch von der Bevölkerung unterstützt: Denn ihre Besoldung hinkt nicht nur dem hinterher, was Lehrer im Ausland bekommen, auch in Bulgarien selbst gibt es in anderen Berufen deutlich mehr Geld.
Die 30jährige Anelia Atanassowa hatte ihren Lehrerjob gerade neu angetreten, als sie nach nur einer Woche für eine gerechtere Bezahlung auf die Straße ging. Zwei Jahre später zieht Anelia Atanassowa Bilanz:
"Die Streikforderungen der Lehrer waren berechtigt. Ich glaube sogar, dass wir noch mehr hätten erreichen können. Denn wir müssen junge, angehende Lehrer für unseren Beruf begeistern. Das niedrige Einkommen hat bereits dazu geführt, dass das Interesse am Lehrerberuf immer stärker nachlässt bzw. Lehrer ihren Beruf aufgeben, da sie als Taxifahrer oder Kellner mehr verdienen."
"Die Büchse der Pandora" – so nennen heute viele in Bulgarien den Lehrerstreik von 2007. In der Tat brachte er bis damals verschwiegene Missstände in den Schulen zur Sprache. Damals und auch heute noch geht es um grundsätzliche Fragen: 20 Jahre nach der Wende muss sich Bulgarien entscheiden, ob es ein Land der Kellner und Taxifahrer wird, oder ein modernes Land mit einer gebildeten Bevölkerung. Den protestierenden Lehrern ging es schlichtweg um eine langfristige Investition in die Zukunft. Wie es Bildung eben ist. Der Ausstand der Lehrer war mehr als nur ein lautstarker Schrei nach mehr Geld im eigenen Portemonnaie. Davon ist der 75-jährige Nikola Zwetkow überzeugt. Er ist pensionierter Lehrer. Vor 50 Jahren betrat er zum ersten Mal ein Klassenzimmer. Die Sorgen seiner jungen Kollegen berühren ihn auch heute noch:
"Die jungen Generationen gehen uns verloren. Die Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert und die Lehrer müssen diese Lücke schließen. Ich war immer ein Lehrer der alten Schule. Das heißt, ich habe nicht nur Wissen, sondern auch Tugenden vermittelt. Die Lehrer sind vor zwei Jahren auf die Straße gegangen, um nicht nur gegen ihre erbärmlichen Gehälter zu protestieren, sondern auch um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf die Erziehung unserer Kinder zu lenken. Jedem Lehrer tut es in der Seele weh, wenn er sieht, dass die Gesellschaft die Zukunft der eigenen Kinder verspielt."
Im Lehrerberuf stehen die Liebe und Sorge um die Kinder im Mittelpunkt – da sind sich Nikola Zwetkow und seine junge Kollegin Anelia Atanassowa einig.
"Ich bin aus Liebe zu den Kindern Lehrerin geworden. Daraus entwickelt sich auch die Liebe zum Beruf. Wenn ich im Klassenzimmer bin und den Schülern etwas beibringe, sie für den Stoff interessiere, dann empfinde ich Genugtuung."
Auch für Nikola Zwetkow waren die wissbegierigen Augen seiner Schüler immer das größte Geschenk seines Berufs. Obwohl er seit zehn Jahren im Ruhestand ist, lässt ihn die Magie des ersten Schultages nach den großen Ferien im Sommer nicht los. Jedes Jahr besucht er am ersten Schultag, am 15. September, seine Schule. So war es auch im Herbst 2007, als der Lehrerstreik in der Luft lag. So war es auch in diesem Jahr.
"Der Lehrerberuf ist so alt, wie die Welt – schon immer gab es Lehrer und Schüler. Bulgarien ist vielleicht das einzige Land in der Welt, wo der erste Schultag ein Feiertag ist. Er ist im Kalender nicht rot angemalt, aber jeder trägt ihn in seinem Herzen. Ein Land, das die Schule so feiert, kann nur prosperieren. Um so lauter müssen aber in so einem Land die Alarmglocken klingeln, wenn Lehrer in den Streik ziehen. Dieser Protest ist mit den Protesten von Metallarbeitern oder Bauern unvergleichbar. Denn es geht um die Zukunft des Landes, um unsere Kinder. Wenn du deinen Kindern nicht hilfst, dann bist du verloren."
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