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Die ersten 100 Tage des Kabinetts Borissow

Sehr gut, Herr Ministerpräsident!
Foto: BGNES

Der bulgarische Premierminister Bojko Borissow gab seiner Regierung für die ersten 100 Tage ihres Mandats ein „Sehr gut“. Als Erfolge führte er u.a. die Finanzstabilität Bulgariens und die stetige Wiedergewinnung des Brüssler Vertrauens gegenüber unserem Land an, was seinerseits den ausländischen Kapitalfluss erhöhen werde. Auch hätten im Oktober die Einnahmen des Staatshaushaltes die Ausgaben um umgerechnet vier Millionen Euro übertroffen – etwas, was zum ersten mal seit Juli dieses Jahres passiert. Teilen alle Politiker diese Einschätzung?

Die Meinungen gehen stark auseinander – von „Hosanna“ bis „Kreuziget ihn!“ Der Vorsitzende der Partei „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ und Kovorsitzender der „Blauen Koalition“, Iwan Kostow, stufte die Bewahrung des hohen öffentlichen Vertrauens als größten Erfolg ein. Denn seinen Worten nach sei dies ein Schlüsselfaktor für die Überwindung der Krise. Auch gestand Kostow dem neuen Premier schnelle und treffende Reaktionen ein. Weniger überschwänglich in seiner Beurteilung äußerte sich ein anderes Mitglied der „Blauen Koalition“ – der Vorsitzende der „Union der demokratischen Kräfte“ Martin Dimitrow. Er stellte die Frage, warum einige von der vorangegangenen Regierung eingesetzte Leitungskräfte, die offensichtlich Misswirtschaft betrieben haben, nicht ausgewechselt wurden. Aus den Reihen der nationalistischen Parlamentspartei „Attacke“ wurde wiederum uneingeschränkte Unterstützung für das Kabinett Borissow zugesagt. Die Sozialisten bekundeten natürlich das Gegenteil. Ex-Finanzminister Plamen Orescharski verkündete im Namen der Bulgarischen Sozialistischen Partei, dass von Borissow real nichts getan worden sei, von dem er vordem große Versprechen gemacht habe. In diesem Sinne schlüpfte die ehemalige Führung Bulgariens, der Borissow problemlos die Macht aus den Händen gerissen hatte, in die Rolle der beleidigten Leberwurst und bezeichnete die vergangenen dreieinhalb Monate als verlorene Zeit.

Was hat eigentlich Bojko Borissow versprochen?

Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Haushalts, niedrige Steuersätze, Senkung der Versicherungsbeiträge, ferner Strukturreformen, mehr Transparenz in der Staatsführung, effektive staatliche Verwaltung. Kampf gegen die Korruption und die Kriminalität, wie auch Stärkung des Vertrauens der europäischen Institutionen gegenüber Bulgarien. Der Ministerpräsident versprach bis Ende seines Mandats die Fertigstellung von drei Autobahnen, die Einrichtung von regionalen Mülldeponien und Kläranlagen.

Was hat das Kabinett Borissow in seinen ersten 100 Tagen seines Mandats davon erreicht?

Premierminister Bojko Borissow erfreut sich nach wie vor einer breiten öffentlichen Unterstützung. Umfragen ergeben, dass 75 Prozent der Bevölkerung ihm Vertrauen schenken und seine Arbeit befürworten. Trotz globaler Krise, die sich unweigerlich auch auf Bulgarien auswirkt, sind mehr als 40 Prozent davon überzeugt, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Die Hälfte der Bürger sind wiederum überzeugt, dass die jetzige Regierung bedeutende Ergebnisse im Kampf gegen die Korruption verzeichnen werde. Die Mehrheit der Bulgaren sind der Ansicht, dass die vergangene Staatsführung von der neuen zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Die Analysten erklären diesen breiten Zuspruch damit, dass die Menschen in Bojko Borissow einen Mann der Masse sehen – er ist einer von ihnen.

Bojko Borissow begnügte sich jedoch nicht einzig mit dem Vertrauen der Massen – er unternahm als erstes etliche wichtige Treffen mit europäischen Spitzenpolitikern, um das Image Bulgariens aufzubessern. Sein entschiedenes Auftreten gegen Korruption und Kriminalität hob erneut das Ansehen Bulgariens in den Augen der europäischen Institutionen. In Folge dessen begannen wieder einige bis dahin eingefrorene EU-Gelder wieder ins Land zu fließen. Zudem bewilligte die Europäische Kommission zusätzliche Entschädigungsgelder in Höhe von 300 Millionen Euro für die am Vorabend des bulgarischen EU-Beitritts erfolgte Reaktorstillegung.

Gleich nach Amtsantritt leitete die neue Regierung eine eingehende Bestandsaufnahme des Erbes der vormalig regierenden Dreierkoalition ein. Haarsträubende Fälle von Amtsmissbrauch und Schluderei kamen ans Tageslicht. Mit zu den ersten Schritten zählte auch eine Reform im Zollwesen und der Nationalen Einnahmenagentur. Damit wurde der Schmuggel sichtlich eingeschränkt. Beschleunigt wurde ferner der Start einiger Infrastrukturprojekte, um die Baubranche nicht vollständig im Krisenmorast versinken zu lassen. Auch mehr Transparenz kehrte in die Staatsleitung ein. Als gutes Zeichen ist die Veröffentlichung der Stenogramme der Regierungssitzungen zu werten. Nicht minder erfolgversprechend ist die Wiederaufnahme des Dialoges mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften.

Was hat das Kabinett Borissow bisher nicht geschafft?

Unter den kritikwürdigen Dingen sind das Fehlen eines umfassenden Regierungsprogramms und eines Plans zur Bewältigung der Krise zu nennen. Auch mit der Teamarbeit der Regierung hapert es noch – nicht selten widersprechen sich die Minister. Die Gewerkschaften ihrerseits sind mit dem Haushaltsplan für kommendes Jahr unzufrieden - der soziale Bereich wird ihrer Ansicht nach zu sehr beschnitten. Unklarheit herrsche hingegen auch bei einigen Großprojekten, wie dem Bau des zweiten Kernkraftwerks „Belene“. Die Analysten weisen ebenso darauf hin, dass noch keiner von den höheren Etagen der Macht für Amtsmissbrauch hinter Gittern gebracht wurde. Die Wirtschaftsprognosen deuten darauf hin, dass der Krisen-Tiefpunkt für Bulgarien noch bevorsteht. Das wird ein ernster Prüfstein für die Regierung sein und könnte auch ihrem Ansehen schaden. 

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

По публикацията работи: Rumjana Zwetkowa


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