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Aberglaube in Bulgarien

Aberglaube und Religion sind im Volksglauben der Bulgaren eng miteinander verflochten.
Foto: BGNES
Wenn plötzlich jemand dreimal auf etwas Hölzernes für gutes Gelingen klopft; wenn man sich entschieden dagegen wehrt, Ihnen den Salzstreuer in die Hand zu reichen, weil es Streit bedeutet, oder wenn man Sie auffordert, sich vor einer langen Reise kurz hinzusetzen, damit unterwegs auch nichts passiert, dann sind Sie definitiv in Bulgarien. Vieles von dem aus der Sicht von Westeuropäern merkwürdigen Verhalten lässt sich durch den Aberglauben erklären. Der Hang zum Mystizismus und Aberglaube ist bei vielen Bulgaren tief verwurzelt, und zwar noch aus vorchristlicher Zeit.

Der Aberglaube ist in den bulgarischen Folkloretraditionen allgegenwärtig. Davon zeugen viele Volksliedertexte und Bräuche aus meist heidnischer Zeit. Und da die Bulgaren sehr traditionell sind und viel von ihrer Folklore halten, pflegen sie manche alte Bräuche bis heute noch. Und so entdeckt man den Aberglauben in vielen Lebenssituationen der sonst modernen und aufgeklärten Zeitgenossen. So feiern z.B. nur die wenigsten Bulgaren ihren 40. Geburtstag. Das hat mit der Bedeutung der Zahl 40 zu tun – unsere Vorfahren glaubten nämlich, dass die Seele des Verstorbenen erst nach 40 Tagen den Körper verlässt und zur Ruhe findet. Dem Volksglauben nach schwebt das Neugeborene 40 Tage lang zwischen Leben und Tod. Deshalb verabschieden sich die Familienmitglieder vom Verstorbenen nach dessen Beerdigung mit einer zweiten Trauermesse am 40. Tag nach dem Tod. Deshalb wird auch ein neugeborenes Baby an seinem 40. Tag mit einer speziellen Feier in das irdische Leben begrüßt, wie Dr. Wichra Baewa vom Folkloreinstitut an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften erzählt.

"Es ist ein Fest nur für Frauen. Die junge Mutter lädt die Großmütter des Kindes, ihre Trauzeugin, die künftige Taufpatin des Kindes und Freundinnen zu sich nach Hause ein. Jede von ihnen muss ein Stück des speziellen Ritualbrotes mit Honig essen, um dem Baby das Leben symbolisch zu versüßen. Dieses Fest am 40. Tag nach der Geburt ist eigentlich eine Opfergabe für die Mutter Gottes. Damit bedankt sich die Mutter dafür, dass sie ein gesundes Kind zur Welt gebracht hat und erbittet von der Heiligen Maria Gesundheit und Wohlergehen für sich und für das Neugeborene."

Aberglaube und Religion sind im Volksglauben der Bulgaren eng miteinander verflochten. Abergläubische Bräuche entdeckt man mit Sicherheit immer dann, wenn es um bestimmte Wendepunkte im Leben der Menschen oder in der Natur geht, wie es die Geburt eines Kindes oder der Wechsel der Jahreszeiten sind. Jeder Wandel bereitete unseren Vorfahren stets große Sorgen, sie fürchteten sich vor Unglück und dachten sich mit der Zeit Rituale aus, um sich zu schützen. So entstanden die abergläubischen Gepflogenheiten, die für die Vorweihnachtszeit sehr typisch sind, erklärt die Folklorewissenschaftlerin Dr. Baewa.

"Der Sonnenzyklus und somit der Wechsel der Jahreszeiten hatte einen fast schon magischen Einfluss auf die Bulgaren. Kurz vor Weihnachten ist der kürzeste Tag im Jahr, der bis heute noch eine besondere Bedeutung hat. An diesem Tag war es nämlich sehr wichtig (und das ist es übrigens immer noch), wer als erster das eigene Haus betritt. Am ersten Gast an diesem Tag deutet man das neue Jahr. Ist der Gast ein gesunder, wohlhabender und angesehener Mann, darf man sich auf ein erfolgreiches Jahr freuen. Und noch etwas – am kürzesten Tag im Jahr, der in Bulgarien Ignatiustag heißt, darf man keinesfalls Geld leihen. Das würde nämlich bedeuten, dass man das ganze Jahr über finanzielle Sorgen haben wird."

Genau genommen ist der Ignatiustag - jedes Jahr am 20. Dezember - gar nicht der kürzeste Tag im Jahr. Astronomisch gesehen ist es der 22. - zwei Tage später, doch die astronomischen Berechnungen waren noch nicht so genau als der Brauch erstand. Das tut dem Glauben an die besonderen Qualitäten dieses Tages jedoch bei Weitem keinen Abbruch: Obwohl jeder ganz genau weiß, dass das alles Humbug ist, überlegt man sich schon zweimal, wen man am Ignatiustag zu sich nach Hause einlädt.

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По публикацията работи: Vessela Vladkova


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