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1952: Bulgarien nimmt Abschied von Krastjo Sarafow

Krastjo Sarafow in der Rolle von Famusow in Gribojedows Gesellschaftskomödie "Verstand schafft Leiden"
Foto: Archiv des Volkstheaters

Im Jahre 1952 ging Krastjo Sarafow, einer der größten bulgarischen Schauspieler und Theaterregisseure, für immer vom bulgarischen Publikum. Der Lehrer für mehrere Generationen bulgarischer Akteure stellte viele zentrale Männerrollen von Shakespeare glänzend dar, spielte in Stücken von Gogol, Tschechjow, Moliere, Gribojedow, Schiller, Petko Todorow, Jaworow. Er ist auch der erste Schauspieler, der die populäre Gestalt des Möchtegern-Politikers Golemanow gespielt hat. Hier eine Kostprobe aus unserem Tonarchiv:

Ja, das bin ich – Golemanow. Der Volkslehrer Golemanow. Es sollen alle – klein und groß sehen, wie ich mit Arbeit und Ehre von einem einfachen Lehrer bis zur Spitze aufgestiegen bin. Nehmen sie mein Bild, vergrößern sie es, stecken sie es in einen Rahmen und hängen sie es am passenden Ort im Kulturhaus. Es ist meine teuerste Erinnerung. Mit tiefer Trauer nehme ich es meiner Familie weg, aber im Kulturhaus wird das Bild nützlich sein. Viele Grüße und schicken Sie mir einen Hilfsantrag. Ich werde für euch eine Staatshilfe für das Kulturhaus erwirken. Viele Grüße!

Seit der Premiere 1927 unter der Regie des großen Regisseurs Nikolaj Masalitinow gilt der Held aus dem Stück von Stephan Kostow nicht einfach als eine Karikatur, sondern als ein Sinnbild der Laster der bulgarischen Politiker. Der „einfache Lehrer Golemanow, der bis zur Spitze aufgestiegen ist“ ist der Gegensatz zu den bulgarischen Lehrern aus der Zeit der bulgarischen kulturellen Wiedergeburt, zu denen auch der Vater von Krastjo Sarafow, Petar Sarafow gehörte. Er wurde 1842 in Gaitanowo, im damaligen Osmanischen Reich geboren und wurde Lehrer. Er gründete 1873 die erste bulgarische Schule in Melnik und 1880 – in Seres, danach versuchte er in Thessaloniki ein bulgarisches Gymnasium zu gründen. Seine patriotisch-aufklärerische Tätigkeit gefiel nicht und er wurde für 16 Jahre nach Kleinasien verbannt. Nach zwei Jahren schaffte er die Flucht über Istanbul nach Odessa und von dort – nach Sofia. Dorthin kam auch seine ganze Familie mit neun Kindern. Darunter waren auch der 12jährige künftige Schauspieler Krastjo Sarafow und sein Bruder Boris, der einer der Führer der mazedonischen Befreiungsbewegung wurde.

Krastjo Sarafow lernte in Sofia das einzige dortige Theater „Zora“ kennen und war von den dortigen Aufführungen, an denen auch seine Freunde teilnahmen, verzaubert. Er wollte auch mitmachen und spielte 1891 seine erste Rolle. Das gefiel seinen Eltern überhaupt nicht, und um ihn vom Theater weg zu bringen, schickten sie ihn zum Gymnasium in Edirne. Nach dem Abschluss des Gymnasiums nahm er an einem Ausschreiben für Auslandsstipendien für dramatische Kunst teil. Von den 60 Teilnehmern wurden vier ausgesucht. Er gewann ein Stipendium nach Paris, aber sein Vater mischte sich ein und Krastjo Sarafow studierte in St. Petersburg in Russland. Nach seiner Rückkehr spielte er im Theater „Salsa i smjach“ und wurde zu einem der Gründer des reisenden „Freien Theaters“ und des Nationalen Volkstheaters.

Krastjo Sarafow ist einer der ersten bulgarischen Schauspieler mit einer Berufsausbildung und kann als einer der Begründer der bulgarischen Schauspielerschule betrachtet werden. Seine Kollegen berichten, dass er sich zu jeder Vorstellung wie für eine Prämiere vorbereitete. Das kostete ihn viel Zeit und Mühe, denn er sagte: „Für mich muss jedes Wort, das ein Darsteller sagt, erlebt werden. Es ist kein einfaches Wort, sondern ein Wort, das direkt vom Herzen kommt.“ Im Tonarchiv des Bulgarischen Nationalen Rundfunks werden auch die Erinnerungen des Schauspielers Iwan Dimow aufbewahrt:

Der Volkskünstler Krastjo Sarafow war für mich immer mehr als ein Artist. Begeisterter Lehrer, der mir die Geheimnisse der großen Theaterkunst zeigte. Seit 25 Jahren höre ich seine weisen Worte und kann sagen, dass sie eine sehr große Wirkung auf meine Schauspielernatur hatten. Von ihm gibt es die Legende, dass er seine Rollen mühevoll lernte. Das mag sein, aber noch richtiger ist es, dass er um bis zu den kleinsten Einzelheiten einer Figur zu gelangen, ständig und überall, im Theater, auf der Strasse, nur von der Gestalt sprach, die er beharrlich verfolgte. Krastjo Sarafow ist für mich, unabhängig von seiner großen Begabung, das Sinnbild eines seltenen Fleißes. Er liebt wie keiner von uns seine Berufung.“

Krastjo Sarafow wurde im sozialistischen Bulgarien hoch geschätzt. 1946 wurde ihm der Ehrentitel „Volksschauspieler der Volksrepublik Bulgarien“ verliehen. 1950 wurde er Dimitrow-Preisträger, eine sehr hohe Auszeichnung. Seit 1951, ein Jahr vor seinem Tod, trägt die Hochschule für Theater- und Filmkunst in Bulgarien seinen Namen.

Übersetzung: Vladimir Daskalov



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