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Joachim Gauck in Sofia: Die Vergangenheit prägt auch immer die Gegenwart

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Foto: BGNES

Am Tag vor dem Brexit-Referendum waren in Sofia optimistische Töne zu hören. Vom Bundespräsidenten Joachim Gauck, der erklärte, egal, wie das Referendum ausgeht, werden sich diejenigen, denen Europa am Herzen liegt, wieder und stärker anstrengen, das Projekt Europa zu erklären und die Menschen zu überzeugen. Joachim Gauck weilt zu einem dreitägigen offiziellen Besuch in Bulgarien auf Einladung seines Gastgebers, des bulgarischen Staatsoberhauptes Rossen Plewneliew. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und die Sicherheit in Europa am Vorabend des NATO-Gipfels in Warschau.

Neben den Wirtschaftsbeziehungen und den Sicherheitsfragen setzte der heute 76jährige DDR-Regimekritiker einen weiteren Schwerpunkt seiner Visite in Bulgarien: die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit.

Die Vergangenheit prägt auch immer die Gegenwart. Die deutsche Nation hat unter Schmerzen gelernt, dass es nützlich ist, sich eigenen Verfehlungen, eigener Schuld und Verstrickung und den Folgen totalitärer Herrschaft zu widmen. Wenn sie da von uns Unterstützung und Kooperation erwarten, sind sie auf dem richtigen Weg. Wir haben nicht nur vonseiten der Regierung und des Parlaments, sondern auch aus der Zivilgesellschaft viele Erfahrungen anzubieten.“

Bulgariens Staatschef Rossen Plewneliew betonte seinerseits die guten Beziehungen zwischen beiden Ländern, und die Statistik liefert den Nachweis: Deutschland ist der wichtigste und größte Handelspartner Bulgariens mit einem Rekordumsatz im vergangenen Jahr von 6,3 Milliarden Euro. Deutschland ist der viertgrößte ausländische Investor in Bulgarien mit über 2,6 Milliarden Euro. Darüber hinaus betonte Plewneliew:

Bulgarien und Deutschland stehen für die europäischen Werte ein. Die einzige mögliche Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit ist mehr Integration, mehr Zusammenarbeit und Rechtstaatlichkeit und nicht die Verfolgung eigener Interessen“, so der bulgarische Präsident. „In Zeiten der Herausforderungen für die Sicherheit in Europa ist heute die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik von erstrangiger Bedeutung. Wir sind überzeugt, dass der bevorstehende NATO-Gipfel die Einheit und Fähigkeit der Allianz aufzeigen wird, die kollektive Sicherheit aller Mitgliedsländer, einschließlich im Osten und im Süden, zu garantieren“, sagte Plewneliew.

Dem bulgarischen Präsidenten zufolge ist angesichts der europäischen Sicherheit die möglichst baldige Aufnahme Bulgariens und Rumäniens im grenzkontrollfreien Schengen-Raum besonders wichtig. Die Antwort von Bundespräsident Gauck war eindeutig: Die EU erwarte und hoffe auf eine Stärkung des Rechtstaatsystems und es sei nicht nur eine technische Entscheidung. Weiter sagte Joachim Gauck:

Wir empfinden es auch als eine Bedrohung, dass im Osten Europas Unberechenbarkeit und Aktionen dazu geführt haben, dass die Rolle der NATO uns noch bewusster geworden ist. Wir haben uns intensiv über den NATO-Gipfel ausgetauscht. Die NATO muss nicht nur im Nordosten wachsam sein, sondern auch im Südosten, und das ist in manchen Ländern Westeuropas nicht in der Weise im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Es ist nützlich, dass die mittel- und westeuropäische Öffentlichkeit deutlicher erfährt, wie die Verhältnisse in Bulgarien sind. Es gibt da manche Wissenslücken.“

Unweigerlich bildete auch das heutige Referendum in Großbritannien einen der Themenschwerpunkte bei den Gesprächen zwischen Rossen Plewneliew und Joachim Gauck.

Als überzeugte Europäer blicken wir mit voller Aufmerksamkeit und natürlich mit Sorge darauf. Wir würden uns wirklich freuen, wenn das Referendum nicht dazu führt, dass sich vielleicht andere Europäer auch noch die Frage stellen, ob sie diesen Weg gehen sollen“, sagte Bundespräsident Gauck. „Insbesondere diese Länder, die eine positive Beziehung zu einem sich vereinigenden Europa haben, und das haben unsere beiden Länder, müssen gerade in so einer Phase der Verunsicherung, was die europäische Idee betrifft, eng zusammenarbeiten. Wir wollen die populistischen Bewegungen, die Zweifel an dem Projekt Europa sehen, widerstehen .Wir wissen, dass es sich um Minderheitenbewegungen in den allermeisten Ländern handelt, aber sie haben eine Tendenz, sehr viele Menschen zu verführen. Und da müssen die Politik, wie die Zivilgesellschaft wiederstehen.

Die Europäische Union ist ein Erfolgsrezept für Frieden in Europa und ich bin sicher, dass das Referendum in Großbritannien erfolgreich sein wird“, sagte seinerseits Rossen Plewneliew. „Ich bin überzeugt, dass man sich in einer so schicksalhaften Situation dessen bewusst ist, dass man eine historische Entscheidung trifft. Jede historische Entscheidung hat Folgen. Ich bin sicher, dass sich alle im Vereinigten Königreich bewusst sind, was die Europäische Union ist. Das Referendum in Großbritannien wird uns eine neue Prise Zuversicht geben, so dass wir alle dieses einmalige Projekt für Frieden in Europa fortsetzen können“, sagte abschließend Rossen Plewneliew.



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