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Bulgarien im Fokus der globalen Bemühungen zum Schutz behinderter Menschen

Nachdem Eric Rosenthal etliche Heime für behinderte Kinder in Bulgarien besucht hat, lautet sein Fazit: Diese Heime sind wie eine Art Orte, wo „unnötige Menschen in Bulgarien verstaut werden“. Eric Rosenthal ist Exekutivdirektor der nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisation „Disability rights international“, die für den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen und deren volle gesellschaftliche Integration kämpft.

Seinen Worten zufolge ist unserer Gesellschaft das Leben dieser Kinder nichts wert. Und dieser Umstand zeugt nicht nur von schlechter Sozialpolitik, schlechter Pflege und schlechtem Gesundheitswesen, sondern stellt zugleich auch eine Verletzung der fundmentalen Menschenrechte dar.

Es gibt eine Behindertenrechtskonvention, welche sich für das Recht absolut aller Menschen einsetzt, in der Gemeinschaft zu leben und sich der Möglichkeit zu erfreuen, eine Wahl zu haben, wie alle anderen auch“, sagte Eric Rosenthal und weiter: „Meine Auslegung der Bestimmungen dieser Konvention lautet, dass die Eingliederung der Kinder in die Gemeinschaft über ihr Recht erfolgt, in einer Familie zu leben. Die UNO hat bereits erklärt, dass kleine Kinderheime, Heime mit einem familienähnlichen Umfeld, all diese Dienstleistungen, die in Form von Institutionen existieren, auf keinerlei Weise die Familie ersetzen, weil diese durch nichts ersetzt werden kann. Die meisten Heimkinder haben eine Familie. Wenn wir also ihre Familien unterstützen, könnten wir die Zahl der in Sozialheime eingewiesenen Kinder bis auf null reduzieren. Nachgewiesenermaßen kann sich für alle Kinder mit Behinderungen, egal in welchem Zustand sie sind, sich eine Pflegefamilie finden, falls die leiblichen Kinder außerstande sind, sich um sie zu kümmern. Das ist eine internationale Anforderung. Unser Ziel ist es, Einfluss auf die EU und die restlichen Geber zu üben, damit sie aufhören, Geld für den Bau kleiner, großer und überhaupt jeder Art von Kinderheimen zur Verfügung zu stellen.“

In diesem Kontext ist unser Land im Fokus eines Gerichtsverfahrens gegen die EK, das zum ersten Mal drei Organisationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen in Europa angestrengt haben. Besagte Organisationen sind das „Europäische Netzwerk für unabhängiges Leben“, die „Validity Foundation“ und das „Zentrum für unabhängiges Leben“. Sie haben Klage im Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg erhoben. Darin wird ein Beschluss der Europäischen Kommission angefochten, die Finanzierung für Bulgarien nicht einzustellen. Die unentgeltliche europäische Finanzierung von Dienstleistungen für Senioren und Menschen mit Behinderungen in Bulgarien beläuft sich auf 18 Millionen Euro. Diese Mittel sind für den Bau, die Einrichtung und Ausstattung von sechs Tageszentren und 68 Gruppenheimen für alte, behinderte und psychisch kranke Menschen bestimmt. Sie werden unter 29 Kommunen verteilt, in denen bis zu neun neue Objekte für über 1.000 Personen eröffnet werden sollen.

Obwohl Bulgarien sich engagiert hat, eine Politik zur De-Institutionalisierung zu führen, werden die EU-Mittel auch für die Schaffung kleiner spezialisierter Pflegeheime für behinderte Kinder verwendet. NGOs zufolge können die ernsthaften Probleme dieser Kinder nicht auf diese Weise gelöst werden, die zu Diskriminierung, sozialer Isolation und Ausgrenzung führen. Nachdem die Europäische Kommission die Forderungen der Kläger, diese Art der Investitionen einzustellen abgelehnt hat, blieb ihnen keine andere Wahl, als sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden.

Die Aufnahmen von Kindern in diesen Heimen sollten unseren gerechten Zorn wecken“, meint Steven Allen, Exekutivdirektor von „Validity Foundation - Mental Disability Advocacy Centre“. „Wenn man sich die Fotos aus diesen Sozialheimen ansieht, fühlt man sich in seiner Würde als Mensch verletzt. Es geht hier aber nicht nur allein um ethische, sondern auch um Rechtsfragen. Fakt ist, dass öffentliche EU-Mittel auch heute für die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen zur Verfügung gestellt werden. In Bulgarien konkret - für die Ausgrenzung von behinderten Kindern. Das Modell der kleinen Gruppenheime, mit dem sich das Land als Modell der De-Institutionalisierung rühmt, wird praktisch vom Geld der europäischen Steuerzahler finanziert. Laut internationalem Recht ist die EU dazu verpflichtet, keine Ausgrenzung zu finanzieren. Seit vielen Jahren stellt unsere Organisation Fälle ähnlicher Verletzungen seitens der EU fest. Sprich: Es werden weiterhin Sozialheime nicht nur für Kinder mit Behinderungen, sondern auch für Senioren in Mittel- und Osteuropa finanziert. In die Europäische Kommission werden ständig Beschwerden dagegen eingereicht und man ist sich dort des Problems bewusst. Wir wollen nicht, dass das Leben Tausender Menschen mit Behinderungen verspielt wird, weshalb wir darauf bestehen, dass die Mittel umgeleitet werden – zur Unterstützung der Familien dieser Menschen“, so Steven Allen.

Übersetzung: Rossiza Radulowa

Fotos: driadvocacy.org und validity.ngo



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