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Rentenmodell braucht Verbesserung

Bulgarien wird in absehbarer Zukunft sein Rentensystem reformieren, wie es viele andere europäische Länder wegen der alternden Bevölkerung und niedrigen Geburtenrate tun.
Die erste Etappe der Reform begann eigentlich im Jahre 2000, als das sog. Punktesystem eingeführt wurde. Dadurch wurde das Renteneintrittsalter erhöht und bestimmte Anforderungen an die Beitrittsjahre eingeführt. Es wurde auch eine zweite Säule durch eine vorgeschriebene Versicherung bei einem privaten Rentenfonds eingeführt, die den nach 1959 geborenen eine freiwillige Zusatzrente beschert.

Aber dieses Rentenmodell braucht eine Verbesserung, weil das Defizit im Nationalen Versicherungsinstitut, das aus dem Staatshaushalt gedeckt wird, sich vertieft und bereits bei über 1,2 Milliarden Euro liegt. Es ist eine finanzielle Stabilisierung des Rentensystems notwendig, weil die Zahl der Menschen im Rentenalter als Ergebnis von negativen demographischen Prozessen zunimmt. Rund 23 Prozent der bulgarischen Bevölkerung von 7,5 Millionen Menschen sind älter als 65 Jahre. Auf 100 Beschäftigte entfallen 82 Rentner. Die Einnahmen der Sozialversicherung decken in Bulgarien nicht die Ausgaben für Renten. Im Jahre 2008 deckten sie weniger als Zweidrittel der Rentenzahlungen. Die Schattenwirtschaft trägt wesentlich zum Defizit der Sozialversicherung bei, da viele Arbeitgeber ihre Beschäftigten nicht entsprechend ihren realen Löhnen und Gehältern versichern.

Der Beraterrat für die Rentenreform beim bulgarischen Minister für Arbeit und Sozialpolitik hat zwei Varianten der Rentenreform vorgeschlagen. Eine davon gilt als die bessere. Sie sieht eine Erhöhung der Beitragsjahre für die Frauen von gegenwärtig 34 auf 37 Jahre vor. Bei den Männern sollen 40 Beitragsjahre an Stelle der bisherigen 37 erforderlich sein. Auch das Rentenalter soll für die Frauen von 60 auf 63 erhöht werden und bei den Männern – von 63 auf 65. Die vorgeschlagenen Varianten sollen in den nächsten Monaten öffentlich diskutiert werden. Das Verhältnis der Gesellschaft dazu ist widersprüchlich. Der Vizepräsident der Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften in Bulgarien Plamen Dimitrow sagte:

„Wir können nicht von den Menschen weiter fordern, dass nur sie allein das Kreuz und die Last der weitergehenden Reform tragen - aus einem einfachen Grund – die finanzielle Instabilität oder die Finanzprobleme des Rentensystems sind ausschließlich durch die falschen politischen Entscheidungen von drei Regierungen verursacht, einschließlich der gegenwärtigen.“

Ein großer Teil der Bulgaren sind überzeugt, dass die Ermüdung nach 20 Jahren radikaler Reformen groß ist. Eine Befragung unter 44.000 Mitgliedern der Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften in Bulgarien zeigt, dass 97 Prozent von ihnen gegen die Erhöhung des Rentenalters sind. Dieser Tage wurden nach einer Sitzung des Leitungsorgans der Gewerkschaft einige Forderungen bekannt, ohne deren Erfüllung die Arbeitervertretung sich weigern wird, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Sie wurden auch dem Minister für Arbeit und Sozialpolitik vorgelegt. Die Gewerkschaft schlägt Maßnamen zur Stabilisierung der Finanzmechanismen des Rentensystems vor. Die Gewerkschaftsfachleute kritisieren die Reduzierung der Beiträge der Arbeitgeber zur Sozialversicherung als einseitig und kurzsichtig. Am 1. Januar 2010 wurde sie von der gegenwärtigen Regierung ebenfalls von 18 auf 16 Prozent gesenkt. Die Gewerkschaften fordern die Rückkehr zu 18 Prozent Sozialversicherungsbeitrag, von dem zwei Drittel vom Arbeitgeber und ein Drittel – vom Beschäftigten übernommen wird.

„Es geht darum das Nichtbezahlen der Sozialversicherungsbeiträge zu Kriminalisieren, es zum Verbrechen zu erklären“, sagt der Gewerkschaftsvertreter. „Denn das ist der Weg, um dieser Epidemie in Bulgarien Einhalt zu gebieten, wo jeder sich über eine x-beliebige Summe sozial versichert oder überhaupt nicht. Und wenn er im Rentenalter ist, eine Rente verlangt. Der Arbeitgeber soll strafrechtlich verfolgt werden, wenn er die Versicherungsbeiträge nicht im vollem Umfang und rechtzeitig abführt.“

Die Gewerkschaft schlägt weiterhin die Wiedereinführung ins Arbeitsgesetzbuch des früheren Verbots, Arbeiter und Angestellte zu entlassen, die nur noch drei Jahre bis zum Rentenalter zu arbeiten haben. Von einer Fortsetzung der Rentenreform kann und muss man nach Ansicht der Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften in Bulgarien sprechen, wenn das System langfristig finanziell stabilisiert ist. Außerdem muss es einen direkten Zusammenhang zwischen den eingezahlten Beiträgen und der ausgezahlten Rente geben. Erst dann können die bulgarischen Rentner mit Renten rechnen, die etwa zwei Drittel ihres Arbeitsentgelts darstellen.

Übersetzung: Vladimir Daskalov
По публикацията работи: Milka Dimitrowa


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