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Das Wertesystem der Bulgaren im europäischen Kontext

Dozent Martin Paunow
Foto: marinpaunov.com
In seinem Buch „Die Werte der Bulgaren – ein zeitgenössisches Portrait im europäischen Kontext“ stellt Dozent Martin Paunow die charakteristischen Züge des bulgarischen Nationalcharakters sowie das Wertesystem der Bulgaren in den Kontext anderer europäischer Völker. Die Ausführungen des Autors stützen sich auf die Ergebnisse einer europaweiten Studie (Europian Social Survey), die in den Jahren 2008 und 2009 unter 43.000 Personen aus 21 europäischen Staaten durchgeführt wurde.

Die Studie fechtet eine Reihe bisheriger Mythologeme an, beispielsweise den berüchtigten Arbeitseifer des Bulgaren, seinen Wissensdrang, seine Gastfreundschaft u.a. Einer der positiven Faktoren im Wertesystem der modernen Bulgaren ist die Intelligenz, wobei wir an zahlreichen Europäern vorbeiziehen. Die Intelligenz wurde unter zwei Aspekten untersucht – einerseits in Bezug auf ihre Messbarkeit in Intelligenztests und andererseits in Bezug auf die Straßen-Intelligenz, d.h. inwieweit eine Person in der Lage ist, sich in konkreten Situationen kombinativ und adaptiv anzupassen. In beiden Aspekten, schreibt der Autor des Buches, zeichne sich der Bulgare vom Rest ab.

Ein weiterer positiver Schluss über den bulgarischen Nationalcharakter ist das außergewöhnlich hohe Maß an Individualismus. In vielen Fällen begründet sich diese Tatsache auf unsere Neigung, Schwierigkeiten allein zu bewältigen und nicht in der Gruppe, die gemeinsam gegen Hemmnisse vorgeht. Gerade dieser tief im bulgarischen Charakter verankerte Individualismus und Erfolgswille ist auch der Pfand für die künftige Entwicklung der Nation. Auch in Bezug auf die Werte sind wir europäischer Spitzenreiter. In seinem Vorgehen lässt sich der Bulgare vom Wunsch nach Prosperität und vor allem nach materiellem Erfolg leiten.

Leider belegt die Studie auch, dass der Bulgare unzufriedener und unglücklicher sind als die restlichen europäischen Bürger. Er ist unzufrieden mit seinem Lebensstandard und mit seinem Job. In Sachen Teamarbeit ist der Bulgare europäisches Schlusslicht, für ihn gilt der Slogan „Selbst ist der Mann“. Rekordtief ist sein Vertrauen in das Gesundheitswesen, die Bildung und das Justizsystem. Er verwirft selbst das Demokratiesystem, in dem er lebt. Die Bulgaren hängen vor allem am Erhalt des Status quo – sie lieben Sicherheit und sind unter den Europäern am wenigsten dazu geneigt, sich Neuem anzupassen. Auch in seiner Sympathiebekundung für die Obrigkeit ist der Bulgare europäischen Schlusslicht, was Dozent Marin Paunow folgendermaßen definiert:
„Eine Art Entfremdung von der Obrigkeit als soziales Phänomen. Wenn man von dieser Obrigkeit jahrelang eingeschüchtert wurde und Verhaltensregeln aufgezwungen bekam., so ist es nicht verwunderlich, dass man dieser Obrigkeit als Institution den Rücken kehrt.“

Die Untersuchung hat weitere interessante Ergebnisse zu Tage gefördert. In Bezug auf den Wert „Freiheitsliebe“ sind wir die einzige Nation mit einem Negativwert. Es sei jedoch nicht ganz einfach, dieses Ergebnis richtig einzuschätzen, erklärt Marin Paunow.

„Wenn wir tiefer in uns hineinsehen, werden wir feststellen, dass es sich hierbei offenbar um ein anderes Freiheitsverständnis handelt. Tief in seinem Inneren ist der Bulgare so frei, wie nur wenige andere“, ist Dozent Paunow überzeugt. „Der Bulgare lässt sich nicht durch Einschränkungen, Einflüsse und Schemata unterordnen. Das traditionelle Verständnis für Bürgerfreiheit, die die Franzosen zum Sturm auf die Bastille veranlasste, fehlt jedoch bei uns. Das ist eine sehr interessante Tatsache.“

Eine der Säulen des Wertesystems ist die Religion. Auch in der Religiosität unterscheiden sich die Bulgaren. Hier liegen wir etwa in der Mitte der Rangliste. Der Bulgare fasst Religiosität nicht als etwas tief Geistliches auf, er kann beispielsweise nicht einmal genau den Begriff „orthodox“ erklären. Um in den Jahrhunderten zu überleben, so Dozent Paunow, klammerte sich der Bulgare jedoch an das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinschaft. Von daher stammt auch die Religiosität der Bulgaren und sein Glaube in die kirchlichen Traditionen.

Übersetzung: Christine Christov
По публикацията работи: Milka Dimitrowa


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