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Minderheitsregierung gewinnt die Vertrauensabstimmung im Parlament

Foto: БТА
Die bulgarische Minderheitsregierung hat gestern eine Vertrauensabstimmung im Parlament gewonnen. Ministerpräsident Bojko Borissow hatte die Vertrauensfrage nach anderthalb Jahren im Amt gestellt, um seine durch einen Abhörskandal geschwächte Position zu festigen. Von den 214 anwesenden Abgeordneten stimmten 140 für den Regierungschef. Die Ja-Stimmen kamen alle von Borissows Mitte-rechts-Partei GERB sowie von der nationalistischen Ataka.

Im Herbst stehen in Bulgarien Präsidentschafts- und Kommunalwahlen an. Und obwohl bis dahin noch eine Weile ist, fing das neue Jahr mit starken politischen Kontroversen an. Ein Abhörskandal sorgte gleich nach Neujahr für die schnelle Ernüchterung – Mitschnitte aus abgehörten Telefongesprächen des Zollchefs haben selbst den Ministerpräsidenten in Bedrängnis gebracht, er soll die kriminellen Machenschaften eines Bierbrauers gedeckt haben. Das bürgerliche Lager, zu dem auch die Regierungspartei GERB gehört, kommentierte prompt, die frühere Staatssicherheit sei immer noch am Leben und verbreite die Mitschnitte, um die erfolgreiche Bekämpfung des organisierten Verbrechens durch die Regierung zu unterbinden. Deshalb stellte Ministerpräsident Bojko Borissow die Vertrauensfrage, um einem Misstrauensvotum wegen des Abhörskandals zuvorzukommen. Die mit "gesetzeswidrigem Material" hochgespielte Abhöraffäre sei eine Reaktion auf die Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Korruption, erklärte Borissow zum Auftakt der achtstündigen Debatte.

"Wir haben die Vertrauensfrage gestellt, weil wir prüfen wollen, ob das Parlament die eingeleiteten Reformen der Regierung unterstützt", sagte Borissow weiter. "Im Herbst stehen Wahlen an. Wenn das nicht der Fall wäre, hätten wir nicht die Vertrauensfrage gestellt, sondern vorgezogene Parlamentswahlen gefordert. Bei Neuwahlen hätte der Präsident eine geschäftsführende Regierung ernennen müssen und ich bin nicht überzeugt, dass Bulgarien jetzt Neuwahlen und eine Interimsregierung braucht", sagt Borissow.

Seine bürgerliche Minderheitsregierung hat erwartungsgemäß die Vertrauensfrage gewonnen, denn die nationalistische Ataka-Partei von Wolen Siderow hatte bereits am Vorabend der Abstimmung ihre Unterstützung zugesagt.

"Ataka unterstützt die Regierung Borissow, weil die Alternative die Revanche jener ist, die bisher Bulgarien regiert haben, und zwar schlecht. Daran zweifelt niemand in Bulgarien und der Wahlsieg der GERB-Partei bei den letzten Parlamentswahlen 2009 war deutlich", kommentiert Ataka-Chef Siderow.

Neben der erwarteten Unterstützung der rechten Ataka-Partei bekam Borissows Kabinett zwei Ja-Stimmen von unabhängigen Abgeordneten. Mit "nein" stimmten hingegen die Sozialisten und die liberale Türken-Partei DPS. Sozialisten-Chef und Ex-Ministerpräsident Stanischew forderte im Plenarsaal den Rücktritt der bürgerlichen Regierung, weil sie eine schlechte Politik führe. Das Kabinett sei ein kochender Kessel, dem man mit der gewonnenen Vertrauensfrage nun auch der Deckel drauf tue.

"Die Schuldzuweisungen, die ehemalige Stasi würde hinter dem Abhörskandal stehen, ist unbegründet", meint Sozialisten-Chef Stanischew. "Unsere Regierung war die erste, die sich traute, die Lichtung der Stasi-Unterlagen voranzutreiben. Unser Ziel war es jedoch nicht die Lustration", sagt Stanischew.

Wie erwartet, hat die von Borissow geforderte Vertrauensfrage die bürgerliche "Blaue Koalition" aus SDS und DSB in eine sehr heikle Situation gebracht. Einerseits kritisieren sie Borissows Wirtschaftspolitik als unkompetent, andererseits konnten sie nicht gegen sein Kabinett abstimmen, weil sie dann mit den Sozialisten an einen Strang ziehen würden. Und deshalb enthielten sich die 14 Volksvertreter der antikommunistischen Koalition der Stimme mit der eigenartigen Begründung, Borissow wolle das AKW-Projekt Belene mit Russland nicht absagen und die einstigen kommunistischen Spitzel im Staatsapparat nicht entlassen. DSB-Chef Iwan Kostow versicherte, seine Partei werde jederzeit das Kabinett unterstützen, wenn es seine Politik korrigiert:

"Wenn sie den richtigen Weg einschlagen, können sie mit unserer Unterstützung rechnen. Im Gegensatz zu anderen Beifallklatschern können wir das Kabinett tatkräftig unterstützen, wenn es die richtige Politik durchsetzen will", betonte der bürgerliche Politiker Iwan Kostow.

Unabhängig der gewonnen Vertrauensfrage bleibt die Regierung von Bojko Borissow auf wackeligen Beinen. Alles deutet darauf hin, dass sich die politischen Kontroversen nur noch zuspitzen werden. Bis zu den Präsidentschaftswahlen im Herbst, wenn die Bulgaren entscheiden sollen, ob die Regierungspartei GERB auch den Staatschef stellen soll.

Mitautorin: Vessela Vladkova
По публикацията работи: Tatjana Obretenowa


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