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Das dreckige Geschäft mit der Ware Mensch

Foto: BGNES
Sie ist unter 25 Jahre alt, hat die Schule nicht abgeschlossen, gehört der türkischen oder der Roma-Minderheit an, reiste nach Deutschland mit dem Versprechen, als Putzfrau mehr Geld zu verdienen, als in der Heimat, landete aber auf dem Straßenstrich. Dieses Opferbild umrissen hochrangige Vertreter des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden und des Polizeipräsidiums in Bonn während einer Konferenz in Sofia über den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung.

Bulgarien ist in Europa ein Drehkreuz im organisierten Menschenhandel. Diese Feststellung des Bundeskriminalamtes wird auch von der Statistik belegt: ein Fünftel der in Deutschland ermittelten Opfer und Tatverdächtigen stammt aus Bulgarien. Die Strafverfolgungsbehörden sprechen von einem neuen Phänomen in Europa – es ist das Phänomen der sich in Deutschland legal aufhaltenden Prostituierten aus EU-Mitgliedsländern, wie Bulgarien und Rumänien. Deren objektiv betrachtete Lage legt den Verdacht des Menschenhandels nahe, der strafrechtliche Nachweis ist aber aufgrund der fehlenden Personalbeweise schwierig. Der Polizei in Bonn war aufgefallen, dass mit dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 die Zahl der Prostituierten auf dem Bonner Straßenstrich kontinuierlich stieg. Die vor Ort angesammelten Informationen und die Informationen der bulgarischen Strafverfolgungsbehörden führten zum Verdacht des Menschenhandels. Diese Annahme bekam im Zuge der Ermittlungen eine solide Basis. Den Mädchen wurden in der Regel hohe Verdienstmöglichkeiten und bessere Lebensbedingungen versprochen. Verschwiegen wurde jedoch, dass sie zunächst ein Schuldenbetrag für die Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten in Deutschland abzuarbeiten haben. Dadurch schufen die Zuhälter ein Abhängigkeitsverhältnis. Diesem Verhaltensmuster kam aus Hauptkriminalkommissar Rainer Bell vom Bonner Polizeipräsidium hinterher. Und erklärt, warum diese Frauen so etwas mit sich machen lassen.

"Ich denke mal, eine große Rolle spielt zunächst ihr Opferbewusstsein. Das mag auch daran liegen, in welchen sozialen Verhältnissen sie aufwachsen. In diesen Familien haben die Frauen zu funktionieren, sie dürfen sogar kein Geld haben. Oder es liegt daran, dass sie regelmäßig auch vielleicht als Kinder Gewalt ausgesetzt sind. Das alles spielt sicherlich eine große Rolle, dass diese Frauen, gepaart mit niedrigem Bildungsstand, potentielle Opfer für diese Menschenhändler sind. Wir hatten eine 16-Jährige, die mit einem falschen Pass ausgestattet worden war, damit sie als 18-Jährige erschien. Und wir hatten eine 17-Jährige, und viele unter 21 Jahren, was für uns deliktisch von Bedeutung ist. Diese Frauen waren fast nahezu alle Angehörige der türkischen Minderheit oder Roma und hatten entsprechend einen niedrigen Bildungsstand. Die Täter übrigens auch – alle Angehörige der türkischen Minderheit. Ausnahmslos."

Opfer und Täter im Bonner Fall stammen fast ausnahmslos aus der Gegend von Dobritsch in Nordostbulgarien. Sie reisten oft gemeinsam nach Deutschland – in Pkws oder Kleinbussen. Von den 25 Opfern erklärte sich nur ein Mädchen bereit, vor Gericht auszusagen. Die anderen hatten Angst. "Verständlich", sagt Kriminalkommissar Rainer Bell. "Angst, dass man sie selber unter Druck setzt, dass man sie selber Repressalien aussetzt oder gegen Familienagehörigen in Bulgarien durchführt. Das kann man sich nur so erklären, denn das sind Frauen, die nichts von dem, was sie verdienen, behalten dürfen. In der Regel verdienen diese Frauen im Durchschnitt zwischen 100 und 130 Euro am Tag und dürfen davon nichts behalten. Verständlich, dass diese Frau dann sagt, ich musste nichts abgeben, wenn sie dann Schläge bekommt. Anhand von Verletzungen konnten wir feststellen, dass sie geschlagen worden sind. Verständlich, dass sie dann sagt, ich bin nicht geschlagen worden, ich bin gestürzt. Das sind alles Hinweise darauf, dass diese Frauen gute Gründe haben, aus ihrer Sicht gute Gründe haben, nicht auszusagen."

Die Eingangsinformation, die die Bonner Ermittlungsgruppe von den bulgarischen Grenzbehörden bekommen hat, aber auch die anschließende Betreuung der Opferzeugen war sehr wichtig für die weiteren Ermittlungen im Milieu, aber auch vor Gericht.

"Wir bekamen ein Feedback aus dem Dorf, wie sieht es aus, sind da Leute aufgetreten, sind die Angehörigen bedroht worden", erklärt Kriminalkommissar Rainer Bell. "Wir konnten den Angehörigen das Gefühl geben, dass sich die Polizei vor Ort um sie kümmert. Wir standen im ständigen Kontakt mit den Kollegen und konnten dann entsprechend Druck ausüben auf die Inhaftierten in Deutschland. Wir haben insgesamt zehn Verurteilungen. Der Jüngste, der verurteilt worden war, war 15 Jahre alt. Die Haftstrafen liegen zwischen 6 Monaten und 5 Jahren, teilweise zu Bewährung ausgesetzt. Die Verurteilung von Angeklagten zu einer Haftstrafe für dieses Delikt – Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, und in unserem Fall bandenmäßig vorgenommen, ist die absolute Ausnahme. "

Der Bonner Fall ist ein Präzedenzfall und wird die Öffentlichkeit sensibilisieren. Die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden ist getan. Die Prävention ist nicht Aufgabe der Polizei. Dennoch betont Kriminalkommissar Bell, dass "je höher das Bildungsniveau und die sozialen Standards der Herkunftsländer ist, desto höher wird sicherlich die Hemmschwelle sein, in ein fremdes Land zu gehen, um sich zu prostituieren. Was für mich als Kriminalbeamter wichtig ist, ist das wir ein Zeichen gesetzt haben – in Richtung der Opfer und auch in Richtung der Tatverdächtigen. Sie wissen, dass die deutsche Polizei in Zusammenarbeit punktuell mit den bulgarischen Behörden in der Lage ist, dran zu bleiben, die Leute einzusperren, zu verurteilen. Selbst derjenige, der jetzt zwei Jahre bekommen hat und nach sechs Monaten Untersuchungshaft auf Bewährung entlassen wird, wenn er das nächste Mal in dem gleichen Deliktsbereich auffällt, und das weiß derjenige, dann kriegt er die volle Ration."
По публикацията работи: Vessela Vladkova


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