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250. Jahrestag der Fertigstellung der “Slawobulgarischen Geschichte” von Paissi von Chilendar

"Paissi von Chilendar", Gemälde von Koju Dentschew
Foto: Архив
Alljährlich ehrt die Bulgarischen Orthodoxe Kirche am 19. Juni den Athos-Mönch Paissi von Chilendar. Er wird von den Bulgaren mit Fug und Recht als der Vater der nationalen Wiedergeburt bezeichnet. Sein bedeutendstes Werk: die “Slawobulgarische Geschichte” ist das erste Geschichtswerk der neueren Zeit in bulgarischer Sprache. In diesem Jahr jährt sich die Fertigstellung dieser Schrift zum 250. Mal.

© Foto: Archiv

Die Original-Titelseite der “Slawobulgarischen Geschichte” (Fragment)

Die “Slawobulgarische Geschichte” erschien erstmals in deutscher Übersetzung im Jahre 1984 in der Insel-Bücherei unter der Nr. 683. Aus dem Bulgarischen übersetzt, herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen wurde sie von Norbert Randow, der auch Paissis Leben kurz und bündig beschreibt:

Über den Verfasser, den Athos-Mönch Paissi vom Kloster Chilendar, ist wenig mehr bekannt, als er in seinem Werk selbst von sich berichtet. Nicht einmal sein weltlicher Name ist überliefert, denn Paissi hieß er erst, nachdem er Mönch geworden war. Geboren wurde er 1722 aller Wahrscheinlichkeit nach in Bansko, einer kleinen bulgarischen Ortschaft am Fuße des Piringebirges, deren Einwohner sich durch Aufgewecktheit und Unternehmungsgeist auszeichnen. Hier scheint er lesen und schreiben gelernt zu haben. 1745 kam er, möglicherweise nach einem Aufenthalt im Rila-Kloster, als Mönch in das Chilendar-Kloster auf dem Athos, wo bereits sein um 20 Jahre älterer Bruder Lawrentii lebte. Frühestens 1752 wurde er zum Mönchspriester geweiht, denn um solcher zu werden, musste man mindestens 30 Jahre alt sein. Paissi erwarb sich Kenntnisse in der Bibel, dem Kirchenrecht und der Kirchendichtung - eine höhere Bildung hat er, wie er selbst bezeugt, nicht erhalten. Es gab ja auch zu seiner Zeit für die gesamte orthodoxe Christenheit außer der Geistlichen Akademie in Kiew überhaupt keine höhere Bildungsstätte.
Bald nach seiner Priesterweihe wurde Paissi, wie die Register des Chilendar-Klosters ausweisen, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen nach Bulgarien geschickt, um Spenden für das Kloster zu sammeln, Beichtwilligen die Beichte anzunehmen und Gruppen von Pilgern, die die Athosklöster besuchen wollten, dorthin zu führen.
Auf seinen Reisen durch das Vaterland nahm Paissi den vielfach desolaten Zustand seines versklavten Volkes mit Bitterkeit zur Kenntnis, denn Bulgarien befand sich damals bereits seit mehr als 300 Jahren unter türkischer Fremdherrschaft.
Langsam reifte in seinem wachen patriotischen Geist der Entschluss heran, seinen bulgarischen Landsleuten ihre ruhmreiche Vergangenheit ins Bewusstsein zu rufen und ihnen so die Augen für ihren eigenen Wert zu öffnen, den sie angesichts der scheinbaren Überlegenheit ihrer Nachbarn, namentlich der Griechen, kaum mehr wahrhaben mochten. 1760 begann Paissi in der Abgeschiedenheit seiner Mönchszelle im Chilendar-Kloster mit der Niederschrift der “Slawobulgarischen Geschichte”. Von großem Nutzen waren ihm dabei alte Chroniken und Kirchengeschichten, wie auch byzantinische und altbulgarische Werke, die er in der Klosterbibliothek vorfand.
1762 beendete er schließlich sein Werk im Sographos-Kloster. Damit war in bulgarischer Sprache zum erstenmal ein Buch entstanden, das, wenn auch in vielem noch mittelalterlichen Geschichtsvorstellungen verhaftet, doch so nachdrücklich den neuen Geist einer nach nationalem Selbstbewusstsein strebenden Nation zum Ausdruck brachte, dass es in deren geschichtlichem Dasein Epoche zu machen vermochte.
Von nun an trug Paissi auf seinen Wanderungen stets sein Werk bei sich, um es seinen Landsleuten vorzulesen oder es von ihnen anschreiben zu lassen. Bald kursierten zahlreiche Kopien davon in allen Teilen des Landes.
Ewig kränkelnd, aber unermüdlich mit seinem Buch durch Bulgarien unterwegs, erlag Paissi im Frühsommer 1773 in der Nähe der heutigen südbulgarischen Stadt Assenowgrad seinen Leiden. Sein Werk setzte aber die Wanderung fort, und Abschrift reihte sich an Abschrift, so dass heute etwa 60 Kopien nachgewiesen werden können, von denen sich etwa zwei Drittel erhalten haben.
Bei der Lektüre der “Slawobulgarischen Geschichte” mag bei manchen der Eindruck entstehen, sie besitze, gemessen an unserem heutigen wissenschaftlichen Stand, einen nur geringen Wert. Dem ist entgegenzuhalten, dass Paissi nicht nur an die bewegenden Gedanken seiner Zeit angeknüpft hat, ohne die sein Werk in der Tat leerer Ballast geblieben wäre, sondern auch diesen Gedanken selbst den wohl bedeutendsten Anstoß gegeben hat. Er war sich darüber klar, dass er sich auf die historische Wahrheit stützen musste, wollte er seine Landsleute davon überzeugen, dass sie eine große Geschichte gehabt haben, in der die Gewähr für die Wiedererstehung ihres nationalen Lebens lag. Diese Wahrheit zu finden und darzustellen war sein Hauptziel, und mit dieser Leitidee seiner Geschichte und zum Teil sogar mit dem Wissen, das er in ihr zusammengetragen hatte, stand er auf der Höhe seiner Zeit, allen mittelalterlichen Reminiszenzen zur Trotz. Aber nicht nur die bulgarische Freiheitsbewegung nahm von Paissis Geschichtsdarstellung ihren Anfang; in ihr tat sich zum erstenmal auch eine der wesentlichen Tendenzen der neubulgarischen Literatur kund: ihr ausgesprochener Sinn für das Reale. Werke, in denen das authentische Dasein des Volkes oder eines seiner Angehörigen im Mittelpunkt steht, sind für die Herausbildung der Denkweise und des literarischen Stils in Bulgarien stets von exemplarischer Bedeutung gewesen
.“

"Das Chilendar-Kloster", Gemälde von Zanko Lawrenow

Man sollte Paissi aber auch kurz im gesamteuropäischen Licht betrachten, um ihm und dem bulgarischen Volk gerecht zu werden. Paissi war es ja, der die Bulgaren aufforderte, bezüglich Bildung und Kultur nach dem europäischen Westen zu schauen, und der sie in die europäische Völkerfamilie zurückführte. Dabei folgte er wohl mehr seiner instinktsicheren Genialität als genauen Untersuchungen der damaligen geistigen Strömungen im Westen. Er war sich nicht im entferntesten dessen bewusst, dass er eigentlich im Geiste namhafter Zeitgenossen dachte und wirkte. Von dem gleichaltrigen, großen deutschen Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) hatte er gewiss nie gehört. So konnte er auch nicht wissen, dass Klopstock in Deutschland einen wahren Feldzug gegen die Manie vieler Deutscher, das Fremde zu rühmen und Franzosisch zu schreiben, entfesselte und Achtung vor den eigenen Sitten und der eigenen Muttersprache gefordert hatte. Ohne Klopstock zu kennen und doch ganz in seinem Geiste geißelt Paissi die Unsitte vieler Bulgaren im tiefsten europäischen Südosten, Griechisch zu sprechen und zu schreiben und als Griechen aufzutreten, und verherrlicht die bulgarische Sprache als höchstes nationales Gut.

Die Schriften von Voltaire, Jean-Jacques Rousseau und Montesquieu waren Paissi unbekannt, aber ihre Ideen waren doch bis zu ihm durchgesickert, sei es durch Vermittlung griechischer Bildungszentren, sei es durch seine mit dem Westen Handel treibenden Mitbürger aus Bansko. Wie immer dem auch sei, Paissi, der Mönch, predigte die Ideen der Aufklärung unter weit schwierigeren Umständen und einem in völliger Unwissenheit gelassenen Volk. Man findet bei ihm sogar Gedanken, in denen die Idee der Volkssouveränität aufleuchtet, obwohl er sicherlich nie erfahren hat, dass in demselben Jahr, in dem er seine Geschichte niederschrieb, der „Contrat Social“ von Rousseau erschienen war.
Als Herders „Volkslieder“ (1779) veröffentlicht wurden, lebte Paissi im Sographos-Kloster. 17 Jahre zuvor aber hatte er schon Herdersche Verehrung für den Genius des Volkes bekundet und dieselbe Humanität befürwortet.
Durch seine Grammatik der russischen Sprache (1755) machte Michail Lomonossow die Bahn frei für die moderne russische Schriftsprache, indem er ihre kirchenslawische, das heißt alt- und mittelbulgarische Grundlage beibehaltend, der Volkssprache Rechnung trug. Ähnliches leistete Paissi für die moderne bulgarische Schriftsprache, nicht so sehr theoretisch, als praktisch dadurch, dass er der Volkssprache den Vorzug gab.

Zusammengestellt: Wladimir Wladimirow


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