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Die Vereinigung Bulgariens - ein gemeinsamer Sieg

"Vereinigtes Bulgarien", Lithographie von Nikolaj Pawlowitsch /Detail/
Foto: Архив

Der 6. September gilt in Bulgarien als der Tag der Vereinigung, obwohl sich an jenem Tag des Jahres 1885 lediglich zwei, wenn auch die größten ethnisch bulgarischen Landesteile vereinten: das Fürstentum Bulgarien und Ostrumelien.

Alles begann mit dem Berliner Kongress im Sommer des Jahres 1878. Nach der Befreiung aller ethnisch bulgarischen Gebiete auf der Balkanhalbinsel in Folge des russisch-türkischen Krieges von 1877/78 wurde am 31. Januar 1878 der Vorfriede von San Stefano abgeschlossen. In Punkt 5 wurde folgendes über das zukünftige Bulgarien vereinbart: “Bulgarien wird innerhalb der auf Grund der Majorität der bulgarischen Bevölkerung festgesetzten Grenzen als ein autonomes Fürstentum mit nationaler christlicher Regierung und einheimischer Miliz errichtet werden. Die türkische Armee wird hier nicht verbleiben.” Es folgte die Beschreibung der neuen Landesgrenzen im Norden entlang der Donau von Widin bis Rasova, im Osten entlang der Schwatzmeerküste von Mangalia bis Midia, die Häfen Warna und Burgas einschließend, im Westen von Widin entlang des Schargebirges an Nisch vorbei entlang der albanischen Grenze - von Makedonien nur die Stadt Thessaloniki ausschließend - im Süden entlang der Küste des Ägäischen Meeres bis Portolagos.

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„Der Berliner Kongress“, gemalt von Anton von Werner, 1881

Jubel herrschte in Bulgarien - nach 500 Jahren sollte alles Land bulgarischer Zunge frei werden und wieder ein selbständiges politisches Leben führen können. Die Freude dauerte aber nicht lange. Die von den Russen vorgesehenen Veränderungen auf dem Balkan stießen auf den Widerstand der anderen Großmächte. Gegen ein freies und unabhängiges Bulgarien selbst mit den Grenzen von San Stefano hätte kaum eine Großmacht Europas Einspruch erhoben, wenn nicht allzu deutlich das Ziel der Schaffung eines so starken Balkanstaates durch die glaubens- und stammesverwandten Befreier zu erkennen gewesen wäre.

England hatte vorsorglich seine Mittelmeerflotte ins Marmarameer einlaufen lassen und zu verstehen gegeben, dass es auch einen Krieg wagen würde. Die Donaumonarchie unterstützte England. Frankreich begünstigte England; Italien Österreich-Ungarn - beide in ureigenstem Interesse. Russland konnte nur auf Deutschland rechnen, aber unter den gegebenen Umständen konnte Bismarck nur eine Vermittlerrolle spielen. Nach langwierigen Verhandlungen konnte er die Großmächte zu einem Kongress nach Berlin einladen, an dem England, Österreich-Ungarn, Russland, Deutschland, Frankreich, Italien und die Türkei teilnahmen. Das Ergebnis des Kongresses war für die Bulgaren niederschmetternd. Das Bulgarien von San Stefano wurde in drei Teile zerrissen, wobei man nur einem Teil den Namen Bulgarien zugestehen wollte.

Das heutige Nordbulgarien mit dem Gebiet von Sofia sollte nach den Kongressbeschlüssen ein autonomes und tributpflichtiges, also ein türkisches Lehnsfürstentum bilden, das von den 164 Tausend Quadratkilometern des San-Stefano-Bulgarien nur noch 64 Tausend Quadratkilometer umfassen sollte. Der Fürst von Bulgarien konnte zwar von der Bevölkerung frei gewählt, seine Wahl aber vom Sultan mit Zustimmung der Großmächte bestätigt werden.
Südbulgarien sollte unter der Bezeichnung Ostrumelien eine von der Hohen Pforte halbabhängige Provinz mit ausgedehnter administrativer Autonomie bleiben. Nach dem Wunsch der Engländer musste auch der Name Südbulgarien verschwinden, denn die Bewohner sollten selbst durch den Namen ihres Landes nicht an ihre Nationalität erinnert werden können.
Der dritte Teil Bulgariens von San Stefano, also das ganze Makedonien, wurde wieder der direkten und uneingeschränkten Autorität des Sultans unterstellt. Faktisch blieb nur ein Teil des bulgarischen Volkes mit einem eigenen, halbwegs unabhängigen Staatswesen frei.

Auf dem Berliner Kongress wurde, besonders unter dem Druck Englands und Österreich-Ungarns, das nach 500-jähriger Knechtschaft befreite Bulgarien kaltblütig zerstückelt. Die Proteste blieben nicht aus und kamen aus allen Teilen des Landes in den Grenzen von San Stefano. In Makedonien brach sogar ein Aufstand aus, der von der türkischen Regierung, unterstützt von England, niedergeschlagen wurde. Die Lage konnte vorläufig nicht geändert werden. Anstatt sich dem friedlichen Aufbau eines eigenen Staates widmen zu können, musste nun das bulgarische Volk drei künstlich geschaffene Fragen zu lösen versuchen: die ostrumelische, die makedonisch und die des Vasallentums des Fürstentums. Das hat wertvolle Kräfte des bulgarischen Volkes Jahrzehnte hindurch aufgerieben und viele Opfer und viel Blut gekostet. Der angeblich von den Mächten angestrebte Friede auf dem Balkan wurde auf dem Berliner Kongress geradezu demonstrativ torpediert.

Die Vereinigung Bulgariens musste außen- und auch innenpolitisch vorbereitet werden. Über die Einzelheiten befragten wir den Geschichtswissenschaftler Georgi Markow.
Natürlich war der gewählte bulgarische Landesfürst Alexander I. für die Vereinigung, doch sie musste erst einmal warten, um die nötigen Vorkehrungen treffen zu können“, erzählt der Historiker. „Die Verfassungsgebende Volksversammlung des Fürstentums Bulgarien erklärte die nationale Vereinigung als eine Priorität in der Außenpolitik des jungen Staates. Die politische Lage in Europa war aber in keiner Weise günstig für die Idee einer Vereinigung. Keine der Großmächte wagte es, sich dieser Herausforderung zu stellen, die eine Revision des Berliner Vertrages nach sich ziehen würde. Die führenden Kräfte im Fürstentum Bulgarien, in Ostrumelien und in Makedonien kamen zu der Schlussfolgerung, das erst alle Bemühungen auf Südbulgarien konzentriert werden müssen. Der nächste Schritt wäre dann der Anschluss des verbleibenden Gebietes.“

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Die Leitung des Zentralen bulgarischen Revolutionskomitees (Zweiter von links ist Sacharij Stojanow)

Im Februar 1885 wurde in der südbulgarischen Stadt Plowdiw, damals Hauptstadt Ostrumeliens, ein zentrales bulgarischen Revolutionskomitee gegründet mit dem Ziel der Vereinigung von Nord- und Südbulgarien.
Die Initiative dazu stammte vom Revolutionär, Politiker und Schriftsteller Sacharii Stojanow“, erzählt weiter Georgi Markow. „Im Programm des Komitees lesen wir: “Das Komitee will es, weil die Bevölkerung dieses Gebietes aus Bulgaren besteht, dass sie auch von Bulgaren geleitet werden. Wir wollen nicht über andere herrschen und lassen es auch nicht zu, dass uns andere beherrschen.” In kurzer Zeit entstanden in den größeren Städten und Gemeinden Vertretungen des Komitees. Ab Ende August des Jahres 1885 fanden in ganz Südbulgarien Massendemonstrationen und Versammlungen in Unterstützung der Vereinigung statt. Man war einem Aufstand nahe.“

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„Besuch von Fürst Alexander I. in Plowdiw am 9. September 1885“, gemalt von Pietro Montani

In der Nacht vom 5. zum 6. September 1885 war es in Plowdiw ungewöhnlich ruhig. Auf den Straßen waren nur die Schritte der türkischen Nachtwachen zu hören. Die Bulgaren warteten auf das vereinbarte Signal. Zur gleichen Zeit rückten bewaffnete Gruppen aus dem Gebiet heran. Zu einem Zusammenstoß kam es jedoch nicht. Es traf eine Nachricht aus dem Fürstentum Bulgarien ein, dass die Armee bereitstehe. Daraufhin ging in den frühen Morgenstunden eine Delegation mit Sacharij Stojanow an der Spitze zum Gouverneur Ostrumeliens, erklärte ihn für abgesetzt und die Vereinigung für vollzogen.
Alles verlief völlig unblutig und äußerst zivilisiert. Steckt vielleicht darin der Erfolg der Vereinigung?

Ja, tatsächlich, der bulgarische Fürst Alexander I, der in Plowdiw einmarschierte und den das Volk als Fürsten aller Bulgaren bejubelte, hatte im Manifest der Vereinigung speziell festgehalten, dass die neue bulgarische Macht im ehemaligen Ostrumelien die Rechte aller Bürger wahren werde, sowohl der bulgarischen Mehrheit, als auch der Minderheiten, wie Türken, Armenier, Juden und Griechen. So widersetze sich die nichtbulgarische Bevölkerung in Ostrumelien nicht der Vereinigung“, antwortet der Geschichtswissenschaftler.

© Foto: Archiv

„Serben bitten um Frieden“, Postkarte aus dem Jahre 1885

Die Nachrichtenagenturen Europas verbreiteten die Meldung über die Vereinigung in Windeseile. Die Reaktion der Großmächte war natürlich abweisend. Die bulgarische Vereinigung widersprach dem Berliner Vertrag. Es überraschte sie aber, dass sowohl die bulgarischen Politiker, als auch die gewöhnlichen Menschen sich bereit zeigten, die Vereinigung mit allen Mitteln zu verteidigen. Serbien, angestachelt von Österreich-Ungarn, erklärte Bulgarien den Krieg, weil das Gleichgewicht auf dem Balkan gestört worden sei. Russland, das den Berliner Vertrag nicht ohne Zähneknirschen hatte hinnehmen müssen, trat plötzlich für die Aufrechterhaltung der Vertragsbestimmungen und gegen den Anschluss ein. Der russische Zar Alexander III. konnte den bulgarischen Fürsten Alexaber auf Grund seiner Unduldsamkeit gegenüber den Einmischungsversuchen Russlands in die inneren Angelegenheiten Bulgariens, nicht ausstehen. Kurzer Hand zog der Zar alle sich in bulgarischem Dienst befindenden russischen Offiziere ab. Dem jungen bulgarischen Heer verblieben nur einige wenige Offiziere, unter denen nur ein einziger Major war. Trotzdem gelang es ihnen, unter dem Oberbefehl des jungen Fürsten, die königliche serbische Armee in nur 7 Tagen zu zerschlagen.

Dieser Sieg war entscheidend. Die Donau-Monarchie rettete den serbischen König Milan, indem ihr Vertreter den Vormarsch der bulgarischen Truppen unter Androhung militärischer Maßnahmen zum Stehen brachte. Der daraufhin abgeschlossene Vertrag stellte nur den Frieden wieder her, ohne Serbien Gebietsverluste oder materielle Entschädigungen aufzuerlegen. Damit fanden sich die europäischen Großmächte mit der Vereinigung Bulgariens ab.“

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

По публикацията работи: Weneta Pawlowa


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