Das Salz ist heutzutage ein triviales Gewürz, des zuviel des Guten verzehrt sogar schädlich ist. Nicht zufällig bezeichnet man es zuweilen auch als „weißen Tod“, obwohl es gleichzeitig für den menschlichen Organismus unabdingbar notwendig ist. Daher hat das Salz in der Kulturgeschichte der Menschheit lange Zeit eine entscheidende Rolle gespielt. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass die Gewinnung von Salz aus dem Wasser des Schwarzen Meeres vor mehr als 6.500 Jahren, die Gründung einer Stadt in der Nähe des Warnaer Sees zu Folge hatte, die als die bisher älteste bekannte ganz Europas gilt.
Für die Archäologen ist es eine Herausforderung, nach so vielen Jahrtausenden dieser einzigartigen „Salz-Kultur“ ihre Geheimnisse zu entlocken. In jener Zeit war Salz derart kostbar, dass es als Zahlungsmittel diente. Jener, der viel Salz besaß, galt als reicher Mann. Die Gegend der heutigen Stadt Prowadia wird von den Wissenschaftlern als die älteste und gleichzeitig größte Salzgewinnungsstätte des Alten Kontinents eingestuft. Das Salz ließ den Handel aufblühen und es entstand eine prächtige Stadt. Vor 6.500 Jahren glänzten ihre Wehrmauern, errichtet aus großen Steinblöcken. Prof. Wassil Nikolow vom Nationalen Archäologiemuseum weist darauf hin, dass die Steinmauern mit ihrer Breite von mehr als zwei Metern und einer Höhe von über drei Metern etwas Einzigartiges für jene Epoche darstellen. Die Bürger dieser Stadt, die dank der von ihnen produzierten Salzbarren zu großen Reichtum gelangt waren, führten ein behagliches Leben in zweistöckigen Häusern. Die Stadt selbst war dicht bebaut. Neben ihr befanden sich auf der einen Seite die Salinen und auf der anderen ein Heiligtum. Unlängst entdeckte das Ausgrabungsteam von Prof. Nikolow die Nekropole der Stadt.
Den Toten hat man Gegenstände aus Kupfer mit ins Grab gegeben. Da es in der Nähe keine Kupfergruben gab, wurde es speziell aus dem Norden eingeführt, erzählt uns der Archäologe. Bei den Grabbeigaben handelt es sich um kupferne Beile, Aalen und zweispiralige Nadeln. Diese Gegenstände zeugen von einem hohen sozialen Status. Die Funde bei Prowadia bestätigen die Annahme, dass die hiesigen Salzgewinner mit der nahegelegenen Warnaer Nekropole aus dem 5. Jahrtausends v. Chr. in Verbindung gebracht werden können, wo das älteste von der Menschheit bearbeitete Gold gefunden wurde. Wir vermuten, dass die Menschen, die dort beigesetzt wurden, durch die Salzgewinnung reich geworden sind. Der Salzhandel hat die Bildung einer sozial differenzierten Gesellschaft begünstigt, was europaweit augenscheinlich zum ersten mal hier geschehen ist. Die Siedlung bei Prowadia kann berechtigt als die erste prähistorische Stadt bezeichnet werden.
Unter den Funden rufen vor allem die Überreste der einstigen Tongefäße Erstaunen hervor, die zum Einkochen des Salzes dienten. Die Archäologen stießen auch auf die Formen, mit deren Hilfe die Salzbarren hergestellt wurden. Die Salzwürfel hatten eine verschiedene Größe und waren das erste Zahlungsmittel im Gebiet des östlichen Mittelmeerraums. Prof. Nikolow bezeichnet daher die Salinen als „Münzhof des Balkans“.
Nun drängt sich aber auch die Frage auf, warum diese „Salz-Kultur“ untergegangen ist? Die Geschichtswissenschaftler und Archäologen sind der Ansicht, die Gründe seien die gleichen, die für das Verschwinden der ersten Zivilisation in Europa verantwortlich sind.
Ende des 5. Jahrtausends vor Chr. setzten klimatische Veränderungen ein – auf dem Kontinent wurde es trockener, die Landwirtschaft ging ein. Die Menschen sahen sich gezwungen, ihre sesshafte Lebensweise aufzugeben und mussten zur Tierhaltung übergehen und mit ihren Herden herumziehen. Diese Umwälzungen bedingen den Verfall der blühenden Stadt bei Prowadia, die schnell in Vergessenheit geriet.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Die Fotos wurden vom Prof. Wassil Nikolow bereitgestellt
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