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Geschichtskalender: 130 Jahre seit der Geburt von Georgi Kjosseiwanow

Premierminister Georgi Kjosseiwanow und Zar Boris III.
Foto: Archiv

Am 19. Januar vor genau vor genau 130 Jahren wurde Georgi Kjosseiwanow geboren. Er ist als kluger Diplomat, einsichtiger Politiker und talentierter Staatsmann in die bulgarische Geschichte eingegangen.

Georgi Kjosseiwanow kam in der südbulgarischen Stadt Peschtera in einer aufgeweckten Familie zur Welt. Sein Vater war innerhalb der Kämpfe um die Befreiung Bulgariens von der Jahrhunderte währenden türkischen Fremdherrschaft Mitglied des örtlichen Revolutionskomitees. Sein Großvater mütterlicherseits hingegen leitete den Aufstand in der Stadt Batak, deren Bevölkerung nach dem gescheiterten Aufstand grausam niedergemetzelt wurde. Georgi Kjosseiwanow bekam eine solide Ausbildung und wurde zum Jurastudium nach Frankreich geschickt, das er 1906 beendete. Nach seiner Rückkehr nach Bulgarien schlug er die Karriere eines Diplomaten ein und wurde in die bulgarischen Missionen nach Frankreich, Italien, später der Türkei, der Schweiz und Deutschlands entsandt. 1926 wurde er zum bevollmächtigten Minister ernannt und nach Athen und Bukarest, 1933 nach Belgrad geschickt. Auf sein diplomatisches Geschick wurde Zar Boris III. aufmerksam, der ihn zu fördern begann. 1935 wurde Georgi Kjosseiwanow Ministerpräsident Bulgariens und behielt diesen Posten bis 1940 inne. Es war eine schwierige Periode für Bulgarien, in der die Folgen der Wirtschaftskrise überwunden werden mussten und das Land in den Zweiten Weltkrieg gerissen wurde. „Wir haben Kjosseiwanow so einiges zu verdanken“, sagt der Historiker Prof. Ljudmil Spassow, der sein Leben und Werk erforscht.

„In den Jahren 1936 bis 39 entfaltete sich in Europa eine breite Volksfrontbewegung; in Spanien kam es zum Bürgerkrieg“, erzählt der Geschichtswissenschaftler weiter. „In Bulgarien folgte die Volksfrontbewegung den Anweisungen der Kommintern und gerade in dieser heiklen Situation führte Kjosseiwanow ein einzigartiges politisches System ein – ein Parlament ohne Parteien, die sich auch nicht an der Leitung der einzelnen Gemeinden beteiligten. Die Aufgaben für die Regierung wurden von Zar Boris III. persönlich verlesen – sie stammen meiner Meinung nach aber aus der Feder des Premierministers – der Monarch verlieh ihnen lediglich das nötige Gewicht. Die Parteien, die nach dem Staatsstreich 1934 verboten wurden, sollten nicht wieder neu geschaffen werden. Ferner wurde der Regierung aufgetragen, die Bevölkerung mit den dringendsten Gütern zu versorgen, die noch dazu billiger werden sollten. Die Gemeinderäte sollten nach Kommunalwahlen wieder ihre Arbeit aufnehmen und ein Parlament neu geschaffen werden. 1937 fanden dann die Kommunalwahlen statt, bei denen zum ersten Mal in Bulgarien auch Frauen stimmberechtigt waren. Der erfolgreiche Verlauf der Wahlen ließen Kjosseiwanow die Parlamentswahlen für den Frühling des darauffolgenden Jahres vorbereiten.“

Das neue Parlament bestand aus 160 direkt gewählten Abgeordneten, die wegen der Parteiverbots keine Fraktionen bildeten. 93 Abgeordnete waren Anhänger der Regierung, während die verbleibenden 67 die Rolle der Opposition übernahmen. Dank dieser Lösung wurden blutige Zusammenstöße in Folge sozialer Spannungen und politischer Kontroversen vermieden, wie sie sich in anderen europäischen Ländern ereigneten. Georgi Kjosseiwanow bewirkte ferner eine Ankurbelung der Wirtschaft, in dem er ein spezielles Industrie-Gesetz verabschiedete, bei dem die Industrie staatlich kontrolliert wurde. Die Nationalbank, in der der Staat der Hauptaktionär war, kontrollierte ihrerseits den Banksektor. Und so erreichte 1939 das Wirtschaftswachstum fast sieben Prozent und gehörte damit zu den höchsten ganz Europas.

„Die Außenpolitik war jedoch das Steckenpferd von Georgi Kjosseiwanow“, erzählt weiter Prof. Ljudmil Spassow. „Als er Ministerpräsident war, wurde Bulgarien vom damaligen amerikanischen Botschafter in Sofia als „neuer Stern der Balkanpolitik“ bezeichnet. Dank seiner diplomatischen Bemühungen wurden für Bulgarien etliche Klauseln des Friedensvertrages nach dem Ersten Weltkrieg gelockert. In der nicht leichten politischen Lage unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg kam Kjosseiwanow glänzend zurecht. Er unternahm wichtige diplomatische Missionen zuerst in Deutschland, danach in England und Frankreich und schließlich in der Sowjetrussland. Dabei handelte er das Beste für Bulgarien heraus und schloss mit der UdSSR sogar einen Handelsvertrag ab.“

Gerade diese äußerst aktive diplomatische Arbeit begann dem bulgarischen Monarchen Sorgen zu bereiten, vor allem nachdem der Zweite Weltkrieg ausbrach. Kjosseiwanow war sehr selbständig geworden und entschlüpfte der Kontrolle Zar Boris III. Die Kreise um den Monarchen witterten ihre Chance und machten Kjosseiwanow und seiner Familie das Leben schwer. Schließlich zwangen sie ihn zum Rücktritt. Kjosseiwanow wurde als Botschafter in die Schweiz entsandt. Als 1944 die Kommunisten in Bulgarien die Macht ergriffen, wurde Kjosseiwanow entlassen. Er blieb in der Schweiz und starb dort 1960.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



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