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Soziologe Parwan Simeonow:

Europawahl ist Lackmustest für innenpolitische Stabilität

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Die Monate vor der Europawahl, die in Bulgarien für den 25. Mai angesetzt ist, kommen wir allmählich von den Protesten ab und gehen zum Wahlkampf über. Zu diesem Schluss kommt auch der Politologe Parwan Simeonow vom Institut für soziale Werte und Strukturen in Bezug auf den politischen Februar. Er bezweifelt jedoch sehr stark, dass die europäische Politik ein Wahlkampfthema sein wird. Die Europawahl ist eine Art innenpolitischer Lackmustest, von ihrem Ergebnis hängt die Stabilität der Regierung ab, die von Sozialisten (BSP), Türkenpartei (DPS) und der nationalistischen Ataka-Partei im Parlament unterstützt wird, kommentiert der Experte gegenüber Radio Bulgarien.

"Diese Europawahl unterscheidet sich von allen zuvor. Hier geht es um einen Wettstreit zwischen Regierungsanhängern und Regierungsgegnern. Vom Ausgang der Wahl wird abhängen, ob es in den Folgemonaten vorgezogene Neuwahlen gibt. Auch zeichnet sich ein beinahe symmetrisches zweipoliges politisches Bild ab, wo die Kräfte in etwa gleich verteilt sind. D.h. die Wahl wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen um eine klare politische Mehrheit werden. Darüber hinaus wird auf allen Ebenen gefightet. Nicht nur zwischen den beiden führenden politischen Kräften (GERB-Partei und Sozialisten). Auch gibt es im linken und rechten Spektrum zwei kleinere Formationen - die ABV-Bewegung und der Reformblock. Zudem gibt es einen heißen Kampf zwischen den nationalistischen Formationen Ataka und der Nationalen Front zur Rettung Bulgariens (NFSB). Nicht zu vergessen die neue Partei "Bulgarien ohne Zensur", die sich derzeit mit einer relativ kleinen, jedoch stabilen und berechenbaren Größe wie der nationalen Bewegung WMRO zusammentut. Bei der Europawahl wird alles auf eine Karte gesetzt. Dabei zeichnet sich ein heiß umkämpfter Wettstreit zwischen dem linken und dem rechten politischen Spektrum ab. Nicht zuletzt weil davon abhängt, ob der Europawahl vorgezogene Parlamentswahlen folgen werden. All das lässt uns vermuten, dass diese Europawahl vor allem eine innenpolitische Standortbestimmung sein wird, bei der es recht wenig um Europa gehen wird."

Kann man derzeit von einer stabileren politischen Lage sprechen?

"Die Lage im Februar ist stabiler, da die Antiregierungsproteste rückläufig und so gut wie abgeklungen sind", kommentiert der Soziologe Parwan Simeonow. "Nach einer einjährigen politischen Krise sind die politischen Probleme scheinbar nicht mehr auf der Straße, sondern in den Behörden. Die institutionelle Spannung zwischen der Regierung und dem Staatspräsidenten bleibt. Spannung gibt es auch in der Regierungsformation, wie die Debatten um das Wahlgesetz gezeigt haben. Im Hinterland der Sozialisten (BSP) sorgt die ABV-Bewegung (von Altpräsident und Sozialist Georgi Parwanow) für neue Probleme. Wie wir seit Monaten vermutet haben - wenn die externen Probleme wegfallen, kommen interne Probleme auf. Insofern ist der Februar, was die Massenproteste betrifft, stabil, was hinsichtlich der Parteien eher weniger zutrifft. Zudem steht die Europawahl an, wofür sich jede einzelne Partei aussichtsreich für den finalen Sprint positionieren will. Das sorgt natürlich für Spannung."

Gibt es für diese Regierung eine Alternative?

"Es gibt eine Alternative. Allerdings nur, wenn die GERB-Partei die Europawahl gewinnt und damit einen wichtigen symbolischen Sieg einfährt", meint der Soziologe Parwan Simeonow. "Wahrscheinlicher ist, dass die Regierungsanhänger aus heutiger Sicht mehr Stimmen auf sich vereinen können, begründet durch die Tatsache, dass die Türkenpartei DPS mindestens drei Europamandate anstrebt, während sich die Sozialisten und die GERB-Partei derzeit die Waage halten und der Reformblock wohl kaum mehr Stimmen als die Türkenpartei auf sich vereinen kann. Obwohl es für Prognosen noch zu früh ist, tendiere ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt dahin, dass die regierungsfreundlichen Kräfte mehr Stimmen einfahren und damit das Kabinett stärken werden. Und einige Anmerkungen zu den beiden Faktoren, die die parlamentarische Mehrheit sprengen könnten. Für die Parlamentspartei Ataka und die außerparlamentarische Partei von Nikolaj Barekow "Bulgarien ohne Zensur", die bereits über zwei Abgeordnete im Parlament verfügt, die sich von den Sozialisten und der GERB-Partei getrennt haben und nun das Quorum beeinflussen könnten, ist es für Wahlen noch zu früh. D.h. diese Regierung hat noch einige Monate Zeit. Nach der Europawahl wird das Thema vorgezogener Parlamentswahlen erneut in aller Munde sein. Denn, egal wer wie viele Stimmen erhält, wird das Ergebnis die Bulgaren wohl eher nicht zufrieden stellen."

Übersetzung: Christine Christov



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