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Portrait des bulgarischen Wählers

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In einem Monat wählen rund 6,5 Millionen wahlberechtigte bulgarische Staatsbürger ihre 17 Europaabgeordnete. Der Wahlkampf läuft offiziell seit Freitag, inoffiziell seit den letzten Parlamentswahlen im Mai 2013. Wer zur Wahl steht, ist sicherlich eine interessante Frage, und darüber informiert Radio Bulgarien ausführlich. Heute wollen wir versuchen, ein Portrait des bulgarischen Wählers zu zeichnen.

Jeder ist seines Glückes Schmied. Das nehmen in Bulgarien etwa die Hälfte der Volljährigen ernst und haben fest vor, sich den Urnengang am 25. Mai nicht zu ersparen. Wer genau ist aber dieser jeder Zweite? Es ist ein „er“, und er ist 51. Er kommt aus einer mittelgroßen Provinzstadt, hat Abitur, arbeitet in einer Privatfirma für umgerechnet 170 Euro im Monat. Er hat eine studierende Tochter. Das Leben geht an ihm vorbei – die turbulenten Jahre haben Spuren auf seinem Gesicht gezeichnet. Und auch körperlich ist er nicht mehr ganz gesund. Er ist eher Pessimist und hegt keine Illusionen – weder für sich, noch für seine Tochter.

Er hat ein stürmisches politisches Jahr hinter sich. Es gab Proteste der Regierungsgegner und Kundgebungen der Regierungstreuen. Ein Jahr später verheißen die soziologischen Untersuchungen trotzdem keine Wende – am 25. Mai werden die Wahlergebnisse nicht viel anders ausfallen, als vor einem Jahr bei den vorgezogenen Parlamentswahlen. Der durchschnittliche Wähler in Bulgarien resigniert und den Soziologen zufolge darf das nicht überraschen. Er hat ja in den Nachwendejahren alles versucht – mal wählte er die ehemaligen Kommunisten allein an die Macht, mal gab er die ganze Macht in die Hände der Antikommunisten. Mal entschied er sich für logische Koalitionen, mal machte er unmögliche Wahlbündnisse möglich. Mal regierte in der Republik ein nicht abgedankter König, mal ein ausgebildeter Feuerwehrmann. Sogar von einer Dreierkoalition wurde der durchschnittliche Wähler enttäuscht. Was ihn daran nicht hinderte, sich letztes Jahr nochmal das Gleiche zu bestellen. Und immer wieder suchte er nach dem Allheilmittel für seine Zukunft, stets in der Form eines Retters – erst war es der Demokrat Kostow, dann der edle König Simeon und später dessen Leibwächter Borissow. Auch diesmal steht so jemand zur Auswahl – der ehemalige Fernsehjournalist und aktueller Möchte-gern-Politiker Barekow.

Die demografische Struktur in Bulgarien ist bei weitem nicht der alleinige Schuldige daran, dass der durchschnittliche Wähler den Zenit seines Lebens überschritten hat. Das Durchschnittsalter beträgt laut Statistikamt 43 Jahre. In Bulgarien aber, wie auch in vielen anderen europäischen Ländern, sind die jungen Menschen politikverdrossen und resignieren schnell, wenn Änderungen nicht sofort eintreten. Angewidert werden sie auch von Wahlmanipulationen, wie etwa dem Stimmenkauf. Spontan würden viele behaupten, nur die ungebildeten und chronisch arbeitslosen Roma würden Geld für ihre Stimme verlangen. Eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Afis ergab jedoch, dass die Roma unter den konstant Wählenden nur 3 Prozent ausmachen. Mehr noch – ganze 6 Prozent sind es unter den kontinuierlich Nichtwählenden. Die Meinungsforscher kommen zum Schluss, dass die soziale Marginalisierung in eine politische umschlägt. Das wird von einer weiteren Zahl bestätigt – die wählenden Unternehmer machen weniger als 3 Prozent aller Wähler aus.

Die Soziologen bestätigen aber einen anderen Mythos – dass unsers Schicksals Schmied die Rentner sind. In der Tat – jeder dritte Urnengänger in Bulgarien hat sein Berufsleben hinter sich. Das entspricht auch der demografischen Struktur Bulgariens, eines der am schnellsten alternden Länder in Europa.

Womit wir wieder beim Portrait des bulgarischen Wählers wären. Er naht dem Ende seines aktivsten Lebensabschnitts, ist politisch nicht immer treu, aber von der Wichtigkeit des Wahlrechts überzeugt. Obwohl er die Hälfte seines Lebens in einer Zeit verbrachte, als die freie Wahl keine Selbstverständlichkeit war, fällt es ihm immer schwerer, seine Kinder von der Bedeutung der freien Wahl zu überzeugen. Denn er wurde viel zu oft enttäuscht.



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