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Der schweigsame Regierungschef

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Misstrauensantrag hin oder her – auch der vierte Anlauf der Opposition wird scheitern. Daran zweifelt in Bulgarien niemand. Viel interessanter wird vermutlich die Debatte vor der Abstimmung im Parlament sein. Dann wird sich eventuell der Ministerpräsident persönlich zu Wort melden. Das tut er nämlich nur ungern, aber nicht, weil er etwa medienscheu wäre. Viel mehr hat er entweder nichts zu sagen, oder man sagt ihm vor, was er zu sagen hat. Denn Orescharski ist keine parteipolitische Figur, sondern ein Finanzexperte, der schon mal für die Konservativen gearbeitet, und nun die Regierungsgeschäfte für die Sozialisten übernommen hat. Und hat als Diener zwei Parteizentralen als Herren.

Bei dem nun vierten Misstrauensantrag gegen Orescharskis Regierung geht es um die Energiepolitik Bulgariens, die aus Sicht der oppositionellen GERB-Partei des Ex-Ministerpräsidenten Borissow „komplett gescheitert“ sei. Die sozialistische Regierung habe sowohl das Pipeline-Projekt South Stream verzögert als auch einen unnötigen Konflikt mit den drei ausländischen Stromversorgern vom Zaun gebrochen.

Die Erdgasleitung South Stream, die russisches Gas durch Bulgarien nach Mitteleuropa bringen soll, sei nach Meinung der bürgerlichen Opposition ins Schwanken gekommen, weil die EU-Kommission für das Projekt kein grünes Licht geben werde. Und so ließ sich die Moskau-freundliche Regierung in Sofia auf einen Konflikt mit Brüssel ein, um dem Pipeline-Betreiber Gazprom einen konkurrenzlosen Zugang zum EU-Markt durch Bulgarien zu ermöglichen. Damit verstößt Bulgarien als Projektpartner gegen EU-Recht.

Darüber hinaus hat die Regierung der ehemals kommunistischen Partei einen unnötigen Krieg gegen die drei ausländischen Stromversorger des Landes angefangen, indem sie ihnen mit Lizenzentzug droht. Betroffen sind zwei tschechische und eine österreichische Gesellschaft. Gestritten wird um Schulden der drei gegenüber dem staatlichen Stromkonzern NEK in Höhe von knapp 180 Millionen Euro. Und die drei ausländischen Konzerne weigern sich, diese Schulden zu begleichen, weil sie zugleich rund 200 Millionen Euro für die Subventionierung von Ökostrom an NEK vorgestreckt haben und noch nicht erstattet bekamen. Es geht also um einen Streit, der entweder vor Gericht oder im Einvernehmen mit der staatlichen Regulierungsbehörde zu lösen ist, wäre eben dieser Regulator nicht so stark regierungsabhängig. Und so nimmt die Opposition kein Blatt vor den Mund und kritisiert die Gangart der Regierung gegen die drei ausländischen Investoren. Der unnötige Streit werde „negative Konsequenzen“ sowohl für das Geschäftsklima in Bulgarien als auch die Energiesicherheit haben, warnten oppositionelle Politiker und lächelten zufrieden in die Kameras, weil sie Rückendeckung aus Brüssel haben. Energiekommissar Oettinger höchstpersönlich hat interveniert und sich über den Vorstoß gegen die Energieversorger besorgt gezeigt. Und was sagt die sozialistische Regierung des parteilosen Ministerpräsidenten Orescharski zu all dem? Nichts.

Die Energieprobleme sind mehr oder weniger intern. Was ist aber mit der Ukraine? Es ist schon ungewöhnlich, dass ein Regierungschef in einem kritischen und spannungsgeladenen Moment schweigt. Ganz Europa hält wegen der Ukraine-Krise den Atem an und fürchtet eine neue Ost-West-Teilung. Und ausgerechnet das EU-Land Bulgarien, das geografisch der Ukraine und historisch Russland sehr nahe steht, schweigt. Ausgerechnet Bulgarien, das zu 90 Prozent vom russischen Erdgas durch die Ukraine abhängig ist, kann sich über diesen Konflikt nicht einig werden. Solange es nur die Bevölkerung betrifft, ist es okay. Das bezieht sich aber auf die Regierung. Klare Worte des Regierungschefs zum Konflikt würde man vergebens suchen. Es gibt keine. Stattdessen gibt es zweideutige Äußerungen seines Außenministers. Und seines Wirtschafts- und Energieministers. Letzterer hat in Brüssel übrigens ganz schlechte Karten wegen des umstrittenen South-Stream-Projektes.

„Bulgarien kann ja gar keine selbständigen Entscheidungen treffen – schon deshalb, weil wir so schwache Politiker haben.“ So sehen es die Menschen auf der Straße. Für sie ist die Regierung eine Schein-Institution, die nur wiederholt, was die NATO, die Vereinten Nationen oder die USA ihr vorsagen. Und da NATO und EU auch wortkarg sind, hüllt sich die bulgarische Regierung in Schweigen.

Die Opposition wählte sehr scharfe Worte, als sie zum Thema Misstrauensvotum behauptet hat, die Energiepolitik der Regierung sei komplett gescheitert. Als Bürger wünscht man sich einen Kommentar des Regierungschefs. Doch, der blieb aus. Wird er die politische Verantwortung übernehmen, sollte sich tatsächlich herausstellen, dass seine Energiepolitik gescheitert ist? Vermutlich nicht – Orescharski ist ja parteilos und wurde als Finanzexperte mit dem Posten des Ministerpräsidenten beauftragt. Die politische Verantwortung tragen beide Koalitionspartner im Kabinett – die Sozialisten und die Türkenpartei. Deshalb leistet er sich den Luxus, zu schweigen. Doch, South Stream, die regionalen Stromversorger und die Ukraine-Krise betreffen jeden Einzelnen in Bulgarien. Allein deshalb darf sich der Regierungschef den Luxus zu schweigen nicht leisten.



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