Selbst die alten EU-Länder haben spätestens bei der EU-Wahl zugeben müssen, dass die Folgen der Wirtschaftskrise politischen Ausmaß angenommen haben. Die EU-feindlichen Parteien haben Einzug ins Europaparlament erhalten. Es stellt sich die Frage, ob ein buntes Parlament gegen falsche Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik gewappnet ist. Darüber sprachen wir mit Georgi Stoew von Industry Watch.
„Wie vor den Wahlen gibt es auch jetzt zwei mögliche Wege, die das Europaparlament und die EU als Ganzes gehen kann“, sagt Stoew einleitend. „Als aller erstes geht es darum, ob wir unsere Hausaufgaben nach der Wirtschaftskrise und nach der Erweiterung auf 28 Mitgliedsländer gemacht haben. Diese Hausaufgaben betreffen in erster Linie die Auswirkungen der Krise und der Erweiterung auf den Arbeitsmarkt. Die EU hat mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Zu den Folgen zählen aber auch steigende Mindestlöhne und steigende Sozialleistungen. All das führt automatisch zur Schrumpfung der Wirtschaftsleistung, insbesondere in Südeuropa“, analysiert Georgi Stoew.
Die zweite Möglichkeit besteht ihm zufolge in der Wachrüttelung der europäischen Politiker nach den Europawahlen vor einer Woche, so dass sie umgehend Reformen einleiten, um den Arbeitsmarkt zu liberalisieren. Georgi Stoew zufolge muss die EU den Weg der Lockerung auf dem Arbeitsmarkt gehen und die Steuern senken. Er räumt jedoch ein, dass die Politiker nicht geneigt sind, diesen Weg zu gehen, zumal auch in Nordeuropa die Finanzengpässe keine Seltenheit mehr sind.
„Angesichts dieser Entwicklung fällt es mir nicht leicht, eine optimistische Prognose über Anstieg der Kredite, der Investitionen, der Einkommen, der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen usw. zu machen“, sagt Georgi Stoew von Industry Watch. „All das hat aber einen direkten Bezug zu einem höheren Lebensstandard. Europa befindet sich nun mal in einer Situation, wenn die Risiken weiterhin Bestand haben, auch wenn die Schuldenkrise überwunden zu sein scheint.“
Schauen wir konkret auf Bulgarien. Wie wird sich das neue bunte Europaparlament auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes auswirken?
„Generell erwarte ich, dass gemeinsame europäische Politiken keinen leichten Weg durch das Europaparlament haben werden. Das ist aber nicht unbedingt als Nachteil zu verstehen“, sagt Georgi Stoew. „Denn auch die sinnlosen Regelwerke werden keinen leichten Weg mehr durch das Europaparlament haben. Die Ergebnisse der EU-Wahl in Bulgarien haben auch positive Nachwirkung – die größte Oppositionspartei, die die Wahl gewonnen hat, benimmt sich seitdem deutlich vernünftiger, als vor der Wahl. Vermutlich wird sie von nun an die sinnlosen Gesetzesvorlagen der Regierung selbstbewusster kritisieren und blockieren“, erwartet Georgi Stoew.
Damit erübrigen sich aber die Auswirkungen der Europawahlen auf Bulgariens Wirtschaft, meint der Experte. Dabei hängt die bulgarische Wirtschaft am EU-Tropf. Fast zwei Drittel der bulgarischen Exporte sind für die EU bestimmt und die Turbulenzen in der Union sind in Bulgarien als Erdbeben zu spüren.
„Das erwartete Wirtschaftswachstum liegt sehr knapp über Null, und so gesehen zeichnet sich keine Erholung der Wirtschaft ab“, kommentiert Georgi Stoew. „Bulgarien braucht langfristig höhere Investitionen, neue Arbeitsplätze und eine höhere Produktivität. Das fehlt Bulgarien seit dem Krisenjahr 2008. Es sieht nicht optimistisch aus. Bulgarien ist ein armes Land, was inländische Kapitalien betrifft. Um das Wachstumstempo von 6-7 Prozent von vor 2008 zu erreichen, braucht das Land ausländische Investitionen. Wenn diese Investitionen auch neue Arbeitsplätze schaffen, d.h. sie fließen in die Industrie, dann wird sich die heimische Wirtschaft um so schneller erholen“, sagte abschließend Georgi Stoew von Industry Watch.
Übersetzung und Redaktion: Vessela Vladkova
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