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„Howgh, ich habe gesprochen!“ – das Machtwort der DPS

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DPS-Parteichef Mestan sprach das aus, was viele in Bulgarien erwartet haben: Neuwahlen!
Foto: BGNES

Der Beruf des Seismologen ist heute in Bulgarien sehr aktuell. Sie wissen – der Seismologe erforscht die Erdbeben und die Ausbreitung seismischer Wellen in Festkörpern. Spätestens seit dem 25. Mai kommen sich die Bulgaren wie Seismologen vor – zwar wusste niemand genau, wann und wo die Erde beben wird, aber jeder wusste ganz genau, dass sie beben wird. Und dass es Nachbeben geben wird.

Das Erdbeben ereignete sich am Wahltag vor zwei Wochen und verursachte Erdrutsche – die Zustimmung für die regierenden Sozialisten rutschte in den Keller ab. Die seismischen Wellen breiteten sich zwei Wochen lang im Festkörper der sozialistischen Partei aus. Für das Nachbeben sorgte aber ihr Koalitionspartner – die Türkenpartei DPS. Parteichef Ljutwi Mestan sprach am Donnerstag das aus, was die einen gefordert und die anderen gefürchtet haben: Neuwahlen. Gefordert haben sie die bürgerlichen Oppositionsparteien. Die regierenden Sozialisten und die regierungsstützenden Nationalisten von Ataka fürchten die Neuwahlen so sehr, dass sie sich zunächst ins Schweigen gehüllt haben. Nach dem Vorstoß der Türkenpartei konnten sie aber nicht mehr länger die Scheuklappen anlassen. Die Sozialisten haben sie scheu geöffnet und Neuwahlen nicht ganz ausgeschlossen. Und die Ataka-Nationalisten haben völlig daneben behauptet, die EU-Wahl sei gefälscht worden. Vermutlich, weil sie weder ins EU-Parlament gewählt wurden, noch den Einzug ins nächste nationale Parlament in Sofia schaffen werden.

Was ist eigentlich auf der famosen Sonderpressekonferenz der mitregierenden liberalen DPS am Donnerstag passiert? Parteichef Mestan sprach das aus, was viele in Bulgarien erwartet haben. Denn spätestens seit den präzedenzlosen Regierungsprotesten im vergangenen Sommer riecht es in Bulgarien nach Neuwahlen. Eine Zeitlang sah es zwar danach aus, dass die sozialliberale Regierung Orescharski die Proteste stur aussitzen wird. Die Europawahl war aber der erwartete Test für das Kabinett, und für die Sozialisten ist er völlig daneben ausgegangen. Mit dem blauen Brief in der Tasche müssen sie sich jetzt dringend neu ordnen und brisanten Fragen Antworten liefern. Wie z.B. der Frage nach dem Vorsitz in der Partei.

Sergej Stanischew, einst als Jungstar der 100jährigen Partei der ehemaligen Kommunisten gefeiert, wird wohl seinen Platz räumen müssen. Wohin es für den 48-Jährigen geht, ist ein wichtiger Bestandteil des Puzzles. Stanischew ist nämlich Vorsitzender nicht nur der bulgarischen sozialistischen Partei, sondern auch der Partei der europäischen Sozialisten. So bekommt seine Wahlschlappe einen ganz anderen Beigeschmack. Vor der Wahl sah sich Stanischew als ganz sicherer EU-Kommissar, zumal seine persönliche Freundschaft mit Martin Schulz ein öffentliches Geheimnis ist. Nach der Wahl sieht es nicht mehr ganz danach aus, obwohl die bulgarischen Politiker generell, und Stanischew im Einzelnen, nicht unbedingt zu den Reumütigsten zählen. Nach seinem eigenen Gutdünken ist Stanischew für den Kommissar-Posten in Brüssel gerade zu prädestiniert – jung, dynamisch, weltgewandt. Mit einem Wort: alles, was Europas Sozialistenherz begehrt. Sein bisheriges Verhalten deutet darauf hin, dass er mit dem Kommissar-Posten fest gerechnet hat. Nach den Parlamentswahlen im vergangenen Mai übernahm nicht er als Parteichef die Regierungsgeschäfte, sondern überließ die heiße Kartoffel dem parteilosen Finanzexperten Orescharski. Trotz der Protestwelle im Sommer harrte er auf dem Posten des Parteivorsitzenden aus, in Erwartung eines Wahlsieges der Sozialdemokraten bei der Europawahl und der Ernennung seines Freundes Martin Schulz zum Kommissionspräsidenten. Dann hätte er sich in aller Ruhe und samt junger Familie nach Brüssel abgesetzt.

Die Rechnung ist aber so nicht aufgegangen. Stanischews letzte Chance ist, dass die sozialistengeführte Regierung mindestens bis September im Amt bleibt, um ihn als Kommissionsmitglied nominieren zu können. Angesichts dieser Überlegungen steht den Neuwahlen in Bulgarien nichts im Wege.

„Howgh, ich habe gesprochen!“, sagte Winnetou in der berühmten Indianer-Fernsehsaga. In der heimischen Seifenoper der Politik übernahm DPS-Chef Ljutwi Mestan die Rolle des Hauptdarstellers. Gestärkt durch das Wahlergebnis am 25. Mai hat nun die Türkenpartei das Sagen. Und der DPS-Chef hat am Donnerstag gesprochen. Gelauscht haben in Bulgarien alle. Seine Pressekonferenz wurde live übertragen. Es kam so, wie es der DPS-Gründer Achmed Dogan noch vor Jahren kommen sah: eines Tages wird die DPS in Bulgarien bestimmen, wer regiert.



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