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Matthias Höpfner: Die junge Generation macht den spürbaren Unterschied in Bulgarien

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Foto: BGNES



Nach fünf Jahren in Sofia verlässt Deutschlands Botschafter in Sofia, Matthias Höpfner, das Land. Vermutlich wird er vielen Bulgaren mit dem präzedenzlosen offenen Brief vom vergangenen Sommer in Erinnerung bleiben – er zog sich den Zorn der Regierungskoalition, als er gemeinsam mit seinem damaligen französischen Amtskollegen Philippe Autié die inzwischen zurückgetretene Regierung Orescharski aufforderte, sich die Protestierenden anzuhören und mit den oligarchieähnlichen Seilschaften in der Politik ein für alle Mal Schluss zu machen. Matthias Höpfner zögerte in den vergangenen fünf Jahren nicht, das EU-Partnerland Bulgarien auf Defizite und Probleme hinzuweisen. Und jeder in Bulgarien kennt sie – mangelnde Rechtspflege, Korruption, aber auch zweifelhafte Medienfreiheit. Vessela Vladkova traf Botschafter Höpfner vor seiner Abreise zu einem Abschiedsinterview.

Sie verlassen Bulgarien in einer politisch turbulenten Zeit. Das Land erlebte letztes Jahr einen „heißen“ Sommer, und in diesem Herbst gibt es vorgezogene Parlamentswahlen. Was würden Sie Ihren politischen Partnern in Sofia zum Abschied mit auf den Weg geben?

Da hat es in der letzten Zeit, also während meiner Standzeit hier, sehr wohl positive Entwicklung gegeben, die primär dahin gehen, dass die Zivilgesellschaft aktiver geworden ist. Man sieht eine emanzipierte und engagierte Erasmus-Generation. Das sind die vielen jungen Leute, die talentierten jungen Leute, die europaweit vernetzt sind, die sehr eindrucksvoll polyglott sind. Ich finde schon, diese Generation beginnt einen spürbaren Unterschied im Land zu machen. Es ist klar zu erkennen, dass frühere Tabuthemen, die sich früher niemand gewagt hat, anzusprechen, heute doch zum großen Teil enttabuiesiert sind. Man redet heute offen und ohne Einschüchterung über fortbestehende Defizite und Probleme im Land. Ich finde aber auch, dass der Staatspräsident hier eine sehr konstruktive Rolle gespielt hat, indem er sich selbst exponiert hat und diese Themen immer sehr offen angesprochen hat. Damit hat er der Zivilgesellschaft in gewissem Masse auch Rückenwind verschafft. Die Defizite, die eine Rolle spielen, liegen nach wie vor im Rechtpflegebereich, wo meiner Meinung nach es insbesondere an der Implementierung im Highlevelsegment weiterhin mangelt. Es gibt in diesem Segment nach wie vor den Eindruck einer doch zum Teil selektiven Rechtspflege und das führt eben zum Vertrauensverlust der Bürger, aber nicht nur bei den Bürgern, sondern punktuell auch bei den Investoren. Das zentrale Problem dabei ist nach meinem Eindruck die immer noch fortbestehende Dominanz bestimmter Partikularinteressen, die sich in der Transitionsphase strukturiert haben und die zum Teil in einer Verquickung mit Politik, aber wohl auch mit Rechtspflegeorganen stehen. Dass ich nicht falsch verstanden werde – Lobbyismus ist legitim und überall, auch in Deutschland, weit verbreitet. Aber man muss natürlich irgendwo eine Grenze ziehen, und es darf dann nicht durch Verquickungen eine Art Staat im Staate entstehen. Das unterhüllt die demokratische Legitimierung der staatlichen Organe und es steht vor allem einer wirtschaftlichen Dynamik, einer wirtschaftlichen Prosperität im Wege. Auch die Situation in den Medien – wenn Medien teilweise von ihren Eignern primär und durchaus rücksichtslos zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Einzelinteressen genutzt werden, dann erfüllen diese Medien ihren gesellschaftspolitischen Auftrag in einer Demokratie nicht. Und da wir nun heute Mediendemokratien haben, ist es schon ein gravierender Mangel, ein sehr gravierendes Defizit, das unbedingt korrigiert werden sollte. Das ist ebenfalls eine Herausforderung für die zukünftige bulgarische Regierung.

Als Sie als Botschafter der Bundesrepublik nach Sofia kamen, war Bulgarien bereits EU-Mitglied. Nutzt das Land alle Möglichkeiten, die ihm diese Mitgliedschaft gibt?

Nein, das ist sicher im Moment nicht der Fall, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, das sieht man an der noch verbesserungswürdigen Absorptionsrate der EU-Fonds. Das ist ein ganz zentraler Punkt, und gerade in letzter Zeit haben wir einige Schwierigkeiten in diesem Kontext erlebt, wo einzelne Mittel gesperrt werden mussten, weil es zu Unregelmäßigkeiten kam. Das ist eine Entwicklung, die natürlich in jeder Hinsicht korrigiert werden muss, und das wird eine Herausforderung für die neue bulgarische Regierung sein, und auch schon für die Interimsregierung. Das ist der kritische Punkt: die Vergabeprozesse, die öffentlichen Ausschreibungsprozesse. Wenn es da zu einer nicht möglichst peniblen korrekten Handhabung kommt, dann ist es natürlich richtig, dass die EU-Kommission darauf reagiert, denn sie verwaltet ja die Mittel, die von den Steuerzahlern der EU-Mitgliedsländer in das Budget der EU eingebracht werden. Also da muss es im Land zu Verbesserung kommen, aber ich glaube das Problembewusstsein ist allseits deutlich gestiegen und ich erwarte, dass diese Dinge doch schnell in Ordnung gebracht werden.

Mit welchen Eindrücken und Gefühlen verlassen Sie Bulgarien und wohin

würden Sie gern zurückkehren?

Das ist leicht beantwortet – die wunderbaren Berglandschaften Bulgariens werde ich vor allem vermissen, und ich habe schon durchaus konkrete Pläne im nächsten Frühjahr, andere Termine mit ein paar Tagen Skifahren in den bulgarischen bergen zu verbinden. Einer meiner Lieblingsorte in Bulgarien ist auch Sozopol, die Kombination zwischen der reichen alten Kultur, den archäologischen Exponaten und der wunderbaren Küstenlandschaft und des wunderbaren historischen Herzens – das hat mich schon immer fasziniert, und auch da werde ich mal irgendwann sicherlich zurückkommen.





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