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Transparente Energieprojekte: Fehlanzeige

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Foto: BGNES

Bulgarien baut einen neuen Reaktor im alten AKW Kosloduj. Eine der letzten Handlungen der zurückgetretenen Regierung Orescharski war, ein entsprechendes Abkommen mit dem US-Konzern Westinghouse für den Bau eines neuen Reaktors im bestehenden Atomkraftwerk Kosloduj an der Donau zu unterzeichnen. Bereits im vergangenen Jahr hatte das sozialistische Kabinett beschlossen, einen siebten Meiler bauen zu lassen, und hat dazu erste Vorgespräche mit Westinghouse geführt. Der neue Reaktorblock soll eine Kapazität von 1100 Megawatt und eine Betriebsdauer von 60 Jahren haben. Das Projekt soll durch eine amerikanische und eine japanische Bank und angeblich ohne bulgarische Haushaltsgelder finanziert werden.

Dahinein passte die Erklärung des Geschäftsführers im Atomkraftwerk "Kosloduj", Iwan Genow, aus dieser Woche rein gar nicht. Ihm zufolge werde der Strompreis um zehn Euro pro Megawattstunde steigen, sollte der siebte Reaktor gebaut werden. Was heißt hier "sollte"? Angeblich ist der Vorvertrag bereits unterzeichnet. Und nun wird zum ersten Mal bekannt, dass eine Preiserhöhung für Strom nicht ausgeschlossen ist.

"Angeblich" ist das Schlüsselwort. Denn der geplante neue Reaktorblock ist das jüngste in einer Reihe von umstrittenen Projekten, die irgendwo in dunklen Hinterzimmern ausgetüftelt wurden, um dann der breiten Öffentlichkeit als ein Allheilmittel untergejubelt zu werden. Es fällt auf, dass es sich in den letzten Jahren fast ausschließlich um Energieprojekte handelt. Vermutlich sind dort die höchsten Provisionen zu holen. Ein Deal aus 2001 mit für Jahre festgelegten Strompreisen hängt Bulgariens Energiewirtschaft bis heute noch wie ein Mühlstein am Hals. Und auch das sich über Jahrzehnte hinausgezögerte und nun angeblich aufgegebene Projekt eines neuen Atomkraftwerkes bei Belene ist alles andere, als transparent und überschaubar. Obwohl der Bau auf Eis gelegt worden ist, ist die finanzielle Schleife im Rechtsstreit mit dem Reaktorlieferanten aus Russland in Milliardenhöhe deutlich sichtbar.

Der neue Reaktor im bestehenden AKW soll vorläufigen Angaben zufolge knapp 4 Milliarden Euro kosten. Mehr ist aber auch nicht bekannt. Der Teufel steckt bekanntermaßen im Detail, und die Details werden der breiten Öffentlichkeit vorenthalten. Wird es eine inflationsbedingte Aufstockung dieser Summe geben? Wie wird der Bau finanziert? Wie werden die Einnahmen verteilt? Welche Abfindungssummen sind vereinbart, falls das Projekt nicht umgesetzt wird? Welche Risiken birgt es – für die Umwelt, für die Bevölkerung, für die Wirtschaft? Und die ganz große Frage betrifft die abgebrannten Brennstäbe. Aus den bestehenden zwei russischen Meilern in Kosloduj werden sie nach Russland zur Endlagerung transportiert. Die USA übernehmen die Endlagerung der Brennstäbe aus dem Westinghouse-Reaktor nicht.

Nachdem Bulgarien Milliarden Euro für das gescheiterte Belene-Projekt verschleudert hat, ist es verständlich, dass die Bürger skeptisch sind, sobald das nächste großangelegte Energieprojekt am Horizont erscheint. Das ärmste EU-Land hat sich den Luxus erlaubt, viel Geld buchstäblich in den Sand zu setzen, nur, weil es mit dem Atomkraftwerk Belene von Anfang an untransparent angelaufen ist. Und anstatt aus dem Fehler zu lernen, fädelt Bulgarien nun das nächste an sich sinnvolle Vorhaben wieder falsch ein. Aber Kontinuität war ja für Bulgarien nie sonderlich wichtig. Selten waren langfristige nationale Interessen ausschlaggebend bei Entscheidungen über große Projekte, sondern viel mehr die rein politischen Vorteile der einen oder anderen Regierungspartei.

Der siebte Reaktorblock in Kosloduj hat auch eine geopolitische Bedeutung. Mit der US-Investition kann Bulgarien zumindest die westlichen Vorwürfe schmälern, es sei das trojanische Pferd Russlands in der Europäischen Union. Und das Projekt würde zur Diversifizierung der Energielieferungen beitragen, die heute bis zu 70 Prozent aus Russland kommen. Um so wichtiger ist es also, bei der Entscheidung über dieses große Energieprojekt alle Karten auf den Tisch zu legen, keine Zweifel aufkommen zu lassen und die langfristigen Auswirkungen zu bedenken – auf die Wirtschaft, aber auch auf die Politik. Denn jede wirtschaftliche Initiative im Milliardenumfang ist auch eine politische.



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