Der 6. September gehört zu den denkwürdigsten Tagen in der bulgarischen Geschichte. Heute wird die Vereinigung des Fürstentums Bulgarien mit Ostrumelien im Jahr 1885 als eine romantische Episode aus der Vergangenheit wahrgenommen. Denn das konkrete historische Ereignis mit einem politischen Hintergrund ist zu einem nationalen Symbol geworden.
Sieben Jahre nach der Befreiung Bulgariens von der osmanischen Fremdherrschaft im Jahre 1878 wagten es die Bulgaren auf den beiden Seiten des Balkangebirges gegen den Berliner Vertrag zu handeln, der auf Wunsch der Großmächte unser Land geteilt hat, und erkämpfen die Vereinigung ihres Landes.
„Das, was vor 129 Jahren geschah, bleibt in der Geschichte“, berichtet der Historiker Professor Andrej Pantew. „Als nach der Befreiung des Landes, das künstliche Staatsgebilde Ostrumelien südlich des Balkangebirges geschaffen wurde, wollte man dadurch auch künstlich eine neue Nation kreieren. Nach dem Vorbild von Libanon, Syrien und Ägypten hatte Ostrumelien eine besondere Struktur, die sich Organischer Beschluss nannte und der Verfassung von Tarnowo gleich gestellt sein sollte. Man wollte dadurch aber nicht nur ein neues Staatsgebilde, sondern eine neue Nation aus Bulgaren, Griechen, Türken, Armeniern und Juden schaffen. Das wäre an sich eine Zeitbombe gewesen. Die Revolutionäre von damals, die die Idee der Vereinigung der bulgarischen Nation propagiert haben, haben zwar etwas voreilig, aber klug gehandelt. Somit erwachte am 6. September 1885 die Hauptstadt Ostrumeliens Plowdiw mit einer erschütternden Nachricht – der Berliner Vertrag in seinem Teil über Ostrumelien sei gebrochen und für ungültig erklärt. Die beiden bulgarischen Staaten seien von nun an vereint. Das ist damals eine sehr günstige Kombination aus Politik, Diplomatie und Volkswille gewesen. Die Armee des Fürsten ist nach Ostrumelien eingedrungen und man war sich aller Risiken dieser Handlung sehr wohl bewusst. Diese Entschlossenheit hat aber gezeigt, dass das Volk ein Ganzes ist und die Teilung nicht in seinem Interesse gewesen ist.“
Bei dem Vollzug der Vereinigung gibt es auch viele weitere Aspekte, die zu beachten sind – kulturelle und ethnische, die dem Ereignis eine viel größere Bedeutung als die rein wirtschaftliche und politische Folgen beimessen. Trotz des Angriffs des serbischen Königs Milan, der im Auftrag der Großmächte erfolgte und bei Sliwnitza im Westen des Landes niedergeschlagen wurde, verlief die Vereinigung fast blutlos. Mit dem Sieg über dem serbischen König wurde auch dieser historischer Akt besiegelt. Die europäischen Staaten verurteilen ihn und sind erwartungsgemäß dagegen. Am unzufriedensten bleibt natürlich Russland, weil dies ohne seine Zustimmung geschah.
Die Vorbereitung auf die Vereinigung umfasst alle Gesellschaftssichten und ist sehr emotionell geladen. Unvergessen bleiben die Szenen der Begrüßung der fürstlichen Armee in Plowdiw durch die ostrumelische Gendarmerie.
„Viele der Schöpfer dieses historischen Ereignisses haben es aus unterschiedlichen Perspektiven gesehen“, kommentiert Professor Pantew weiter. „Als aber die Vereinigung vollzogen wurde, haben sie sich alle um die nationale Idee vereint und haben dabei alle politischen und ideologischen Unterschiede vergessen.“
Wenn es heute eine historische Botschaft der Vereinigung Bulgariens gibt, ist das die Tatsache, dass man die nationale Idee auch mit Hilfe der Vernunft durchsetzen kann. Ostrumelien war viel attraktiver und entwickelter als Fürstentum Bulgarien. Plowdiw war eine reiche Stadt, man hat aber die Idee der Vereinigung im Sinne der nationalen Idee angenommen und hat dadurch bewiesen, dass die nationale Identität weitaus wichtiger als das materielle Wohl gewesen ist.
Übersetzung: Milkana Dehler
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