Die Ergebnisse der vorgezogenen Parlamentswahlen am 5. Oktober brachten acht Parteien in die neue, 43. Volksversammlung. Die Bildung einer Regierung wird sehr schwer sein. „Ich denke, dass dieses zerstückelte Parlament etwas beweist, das ich vielfach behauptet und von dem ich geschrieben habe.“ Das sagte der Chef der bulgarischen Redaktion der Deutschen Welle Alexander Andreev in einem Interview für Radio Bulgarien.
„In Bulgarien gibt es keine wirtschaftliche, finanzielle, soziale oder demographische Krise, es ist eine moralische Krise. Das Vertrauen in die repräsentative Demokratie geht dramatisch zurück. Wenn man die Internet-Foren liest, sieht man, dass die repräsentative Demokratie massenweise abgelehnt wird. Es werden allerlei Alternativen angeboten und die harmloseste ist die direkte Demokratie. Die anderen sind viel schlimmer: von der Diktatur bis „sie alle wegfegen“. Das, was man machen kann, um das Vertrauen den Menschen teilweise zurückzugeben, ist eine maximal breite Koalitionsregierung zu bilden. Sie müsste das nominelle Vertrauen eines großen Teiles der Wähler haben. Eine solche Regierung, die die notwendigen dringenden Reformen schon im Winter in Angriff nimmt. Sie sind auf dem Gebiet des Gerichtswesens, der Verwaltung, der Bekämpfung der Korruption, der Gesundheitsfürsorge, der Bildung, des Energiewesens.“
Die Erfolg versprechende Formel der Koalitionsregierung verbindet die GERB-Partei, die Bulgarische Sozialistische Partei und den Reformblock. Seine Reserven gegenüber der Bewegung für Rechte und Freiheiten und der Patriotischen Front begründet er folgendermaßen:
„Die Bewegung für Rechte und Freiheiten hat durch ihre Politik der letzten Jahrzehnte massenweise das Vertrauen der Menschen verloren und wurde zu einer Partei, mit der niemand etwas zu tun haben möchte“, sagt Alexander Andreev weiter. „Während die Patriotische Front als neue Formation für mich immer noch zu amorph ist, mit unklarer politischer Ausrichtung, mit unklaren Zielen. Ich misstraue Parteien, die die politische Bühne mit so lauten patriotischen Zielen betreten, ohne dass es klar wäre, welche reale Politik sie verfolgen.“
Wie werden in Europa und insbesondere in Deutschland die Ergebnisse der Parlamentwahlen gesehen. „Eines der positivsten Dinge bei dieser Wahl ist, dass die Bulgaren in ihrer Überzahl ihre Stimmen der europäischen und atlantischen Ausrichtung Bulgariens gegeben haben“, sagt Alexander Andreev weiter. „Die Bulgaren haben unter allen Mitgliedsländern seit jeher das größte Vertrauen in die EU. Vor dem Hintergrund des Geschehens nur wenige Hundert Kilometer nordöstlich der Grenzen des Landes, ist es besonders wichtig, dass Bulgarien sein atlantisches Engagement bekräftigt. Damit beweist das Land, dass es zur Familie der Europäer und Atlantiker gehört. Ich meine, dass Bulgarien eine sehr günstige Rolle als Vermittler für die dringend notwendige Annäherung zwischen Russland, der EU, der NATO und den USA spielen könnte. Diese Kräfte müssen sich endlich an den Verhandlungstisch setzen und die sehr großen Probleme unter ihnen lösen, um das Blutvergießen in der Ukraine zu stoppen und das andere Blutvergießen zu unterbinden. Bulgarien hat traditionell freundschaftliche Beziehungen zu Russland wegen Geschichte, Religion und Sprache. Die Sympathien für Russland sind viel höher als in Polen oder Tschechien z.B. Auch wenn Bulgarien ein kleines Land ist, könnte es die bescheidene Rolle des Vermittlers in dieser sehr großen Politik spielen. Das könnte die wichtigste außenpolitische Aufgabe einer künftigen Regierung sein“, ist Alexander Andreev überzeugt.
Übersetzung: Vladimir Daskalov
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