Seit gestern hat Bulgarien eine neue Regierung. Das Parlament hat in einer feierlichen Sitzung das Kabinett Nr. 91 mit 136 Stimmen ins Amt gewählt. Die neue Regierungsmehrheit besteht aus der bürgerlichen GERB-Partei und dem konservativen Parteibündnis Reformblock, die einen Koalitionsvertrag unterzeichnet haben, und unterstützt wird sie von der Patriotischen Front und der kleinen Linkspartei ABW. Am Freitag wurde Bojko Borissow der erste bulgarische Ministerpräsident der Nachwendegeschichte, der zum zweiten Mal einer Regierung vorsteht.
Neu ist auch das breite politische Spektrum, das das neue Parlament abdeckt. Von allen acht Parteien erhielt allerdings keine die absolute Mehrheit, um allein zu regieren. Und so sahen sich die Parteien gezwungen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Zum ersten Mal werden Kabinettsmitglieder aus zwei ideologisch diametral verschiedenen Parteien gemeinsame Beschlüsse fassen müssen – als Arbeits- und Sozialminister in der neuen Mitte-Rechts-Regierung wurde der linke ABW-Politiker Iwajlo Kalfin gewählt. "Jeder Vogel braucht einen linken und einen rechten Flügel, um zu fliegen", kommentierte metaphorisch der Vorsitzende der ABW Georgi Parwanow, selbst zehn Jahre lang sozialistischer Präsident Bulgariens.
Ministerpräsident Borissow bekommt vier Stellvertreter. Neben Kalfin sind es noch zwei Spitzenpolitiker der GERB – Tomislaw Dontschew, zuständig für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, und Rumjana Batschwarowa, die für dioe Koalitionspolitik und die Verwaltung verantwortlich ist. Der vierte Vizepremierposten ist für die Covorsitzende des Reformblocks Meglena Kunewa.
So bunt die Regierung ist, so bunt bleibt auch die Opposition im Parlament. Die Sozialisten haben ihre Wahlniederlage am 5. Oktober als ein deutliches Signal aufgenommen, in Opposition zu bleiben. Ihr früherer Koalitionspartner, die liberale Türkenpartei DPS, bot zwar seine Unterstützung für die Regierung Borissow an, war aber von Anfang als Partner unerwünscht. Hinzu kam die Unterstützung der Patriotischen Front, die die Türkenpartei endgültig in die Opposition gedrängt hat. Die nationalistische Ataka, mit deren Duldung sich das zurückgetretene Kabinett der Sozialisten und der DPS überhaupt im Amt halten konnte, bleibt ebenfalls in der Opposition. Unentschlossen scheint die populistische Formation Bulgarisches demokratisches Zentrum, ehemals Bulgarien ohne Zensur, zu sein.
Die mühsamen Kompromisse für die Regierungsbildung und das problematische Kräfteverhältnis im Parlament werden den Reformwillen des Kabinetts herausfordern. Die neuen Minister aus der GERB kennen sich gut aus – die meisten waren bereits auf diesen Posten in der ersten Borissow-Regierung. Die heißen Kastanien aus dem Feuer holen darf allerdings der Reformblock, der sich im Zuge der Bürgerproteste im vergangenen Sommer herausgebildet hat. Die sozialrelevanten Ressorts, wie Gesundheit, Justiz, Bildung und Wirtschaft, haben nämlich Reformblock-Politiker übernommen. Keinem einzigen Minister dieser Ressorts war man in den Jahren seit der Wende dankbar. Hinzu kommt, dass die dringend notwendigen und von den Bürgern geforderten und erwarteten sozialen Reformen von Reformblock-Ministern durchgeführt werden müssen. Die finanzielle Absicherung dafür liegt jedoch in der Hand der GERB. Problematisch dürfte auch die Unberechenbarkeit des Reformblocks und der Patriotischen Front sein. Es handelt sich um zwei neue Parteibündnisse mit teilweise kurzer politischer Erfahrung.
Redaktion: Vessela Vladkova
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