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Alte Liebe rostet nicht

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Der Bulgarische Nationale Rundfunk wird heute 80. Eine runde Sache. Und ein denkwürdiges Jubiläum. Mit dem Alter ist das Radio gereift, um heute das führende Medium in Bulgarien zu sein und seine Glaubwürdigkeit durch all die Jahre zu untermauern. Es hat viele Herausforderungen der Zeit gemeistert – einen Weltkrieg, eine Mauer, eine Wende. In unserer Reihe „80 Jahre in 80 Wochen“ haben wir annähernd versucht, die Geschichte des „alten Hauses“, wie der Bulgarische Rundfunk genannt wird, mit Originalaufnahmen aus unserem Tonarchiv zu umschreiben. Heute wollen wir nicht all so weit in die Vergangenheit blicken und jene zu Wort kommen lassen, die die deutschen Sendungen des Bulgarischen Rundfunks jahrelang geprägt haben. Es sind Journalisten, Dolmetscher, Übersetzer und Radiostimmen, ohne die wir heute nicht das wären, was wir sind.

Maya Stefanowa, immer gut an ihrer rauen Stimme zu erkennen, aber auch an lebhaften Reportagen und fesselnden Interviews. 25 Jahre lang war sie Redakteurin bei Radio Bulgarien, wechselte anschließend in das Goethe Institut in Sofia, und ist bis heute noch eine sehr gefragte Dolmetscherin.

Bevor wir ins Studio reingegangen sind, hast du gesagt, lass mich nur Taschentücher mitnehmen, nicht dass ich jetzt anfange zu weinen. Mir fällt immer wieder auf, du bist sehr emotionell, wenn du zum Radio kommst.

СнимкаNicht nur, das ist mein Leben, ich wurde in dieser Redaktion geformt. Denn ich war sehr jung, als die Jugendfunksendung eingeführt wurde. Das war im vorigen Jahrhundert. 1965.

Du hast auch sehr unterschiedliche Phasen in der Geschichte des Rundfunks erlebt. Der Rundfunk, der heute 80 Jahre feiert, hat auch sehr unterschiedliche Zeiten durchgemacht. Dazu gehört auch die Wende, sie ist wirklich ein wichtiger Einschnitt in unserem Leben. Wie hast du das erlebt, wie hast du die Wende erlebt und wie würdest du heute die journalistische Arbeit damals beschreiben?

"Am 9. November war ich in Berlin. Für mich war es immer wichtig, dass wir über Land und Leute berichteten. In den 1970er Jahren waren Kollegen aus der BRD zu Besuch in Bulgarien, Journalisten, die den Rundfunk und die Redaktion besucht haben. Danach gab es ein Abendessen, und da sagte einer, das werde ich nie vergessen: `Maya, ich bin so erstaunt – ihr seid normale Menschen, genauso wie wir. Und die Mädchen sind auch so gekleidet, wie bei uns. Und wir können uns ganz gut verstehen, ihr sprecht alle Deutsch.` Bitte nicht lachen, das ist keine naive Äußerung. Das zeigt die große Kluft, die damals in den Köpfen aller Menschen bestanden hatte. Deshalb war für mich wichtig, durch unsere Sendungen zu zeigen, dass hier ganz normale Menschen leben, die genauso heiraten, Kinder kriegen und sich ab und zu scheiden lassen. Menschen, die Träume für die Zukunft haben, die auch mal am Schwarzen Meer Urlaub machen. Dass eben auch bei uns der Kaffee mit Wasser gekocht wird. Und das wurde auch durch die Briefe der Hörer bestätigt. Unzählige Briefe, Hunderte Briefe. Und die Tatsache, dass sie uns auch nach der Wende treu geblieben sind. Das urteile ich auch an den Briefen, die wir damals bekommen haben.“

Du hast als Journalistin auch eine andere Erfahrung gemacht, die nicht jeder machen durfte – du durftest eine Sendung über Bulgarien bei Radio Bremen moderieren.

Das war 1975, im vorigen Jahrhundert. Das war wahrscheinlich ein Ergebnis der Ostpolitik Willy Brandts. Ganz offensichtlich, denn wenn ich nicht irre, hat Bulgarien diplomatische Beziehungen mit der BRD erst 1973 aufgenommen. Und dieser Wandel durch Annäherung war wahrscheinlich die Einladung an bulgarische Journalisten, die natürlich Deutsch sprechen können, eine Sendung bei Radio Bremen zu moderieren, live zu gestalten. Übrigens war das meine erste Livesendung, aber das habe damals dort gar nicht verraten.“

СнимкаNeben Maya Stefanowa bei Radio Bremen saß Alexander Vladkov. Der damalige Redakteur bei Radio Sofia wechselte später zum Inlandsprogramm, wo er kurz darauf Chefredakteur wurde, und nach vier Jahren Korrespondenzzeit in Bonn wählte ihn dann das Parlament im inzwischen demokratischen Bulgarien zum Intendanten des Bulgarischen Rundfunks. Damit ist er der erste Radiochef, der die Leiter vom freien Mitarbeiter bis zum Chefsessel und dann zurück in den Moderatorenjob durchlaufen ist. „Das Radio hat mein ganzes Leben geprägt. Es hat mir so viel gegeben, dass ich mindestens zwei Leben brauche, um es zurückzuzahlen“, sagt er.

Hat es dich jemals gestört, dass die Auslandssendungen der damaligen Propaganda gedient haben, bzw. Radio Bulgarien ist bis heute, und ich finde nichts Schlimmes daran, auch ein Propagandasender. Es ist ein Sender, der über ein bestimmtes Land berichtet und es populär macht.

Du hast vollkommen recht. An und für sich sind alle Auslandssendungen Propagandasendungen. Die schönen Seiten des eigenen Landes zeigen. Das machen auch die Deutsche Welle, Voice of America, Radio Moskau und wie sie alle heißen. Daran gibt es nichts schlimmes, die Schönheiten des Landes zu zeigen, die Freunde Bulgariens zu Wort kommen zu lassen, neue Freunde gewinnen, denn das sind die Aufgaben eines Auslandssenders."

Als Intendant des Bulgarischen Rundfunks und Präsident der Radio- und Fernsehorganisation der früheren Ostblockländer OIRT läutete Vladkov die Aufnahme des Senders in die European Broadcasting Union (EBU) ein. Das war 1992 in Oslo.

"Und als Präsident der östlichen Organisationen habe ich den Vertrag mit Prof. Dr. Scharf unterschrieben. D.h. die heutigen staatlichen Radio und Fernsehen sind die ersten bulgarischen Institutionen, die in das neue Europa offiziell integriert wurden. Prof. Scharf hatte sehr bewegende Worte für meine Tätigkeit gefunden und ich habe gedankt mit den Worten, dass ich alles aus meiner Überzeugung gemacht habe, irgendwie für die Überwindung der unnatürlichen Teilung Europas beizutragen."

Versteht man heute die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien als eine Korrektur, als ein Medium, das der Objektivität verpflichtet ist?

Da gibt es keine Regeln, alles hängt von den Maßstäben, vom Denken, von der geistigen Freiheit, von den Freiheitsgrenzen des einzelnen Journalisten ab. Die bulgarische Journalistik kränkelt zurzeit sehr. Die Glaubwürdigkeit ist weg. Es werden Nachrichten oder Berichte oder Behauptungen gesendet, die nicht überprüft sind. Unlängst war der amerikanische Außenminister Kerry hier und er hat uns viel Seife um die Ohren geschmiert. Korruption und Untertanengeist – er hat es ausgesprochen. Früher waren wir die treuesten Verbündeten Moskaus, jetzt sind wir die treuesten Verbündeten Washingtons. Das ist eine Krankheit der Politik und das reflektiert auf die jungen Journalisten. Sie machen nach, was die Politiker machen. Das ist das Problem."

СнимкаDie Journalisten beim Auslandssender schlagen Brücken zwischen zwei Welten – sie leben zwischen ihrem Berichtsgebiet und dem Sprachraum ihrer Hörer. Das wirkt sich unweigerlich auch auf die journalistischen Standards aus, an die man sich hält. Diese Erfahrung machten auch die früheren Redakteure bei Radio Bulgarien Georgetta Janewa und Ralf Petrow – sie hat sich inzwischen selbstständig gemacht, und er ist heute Chefredakteur von AutoBild Bulgarien.

Der Auslandsdienst des BNR war auch vor der Wende sehr unterschiedlich im Vergleich zu den anderen Medien und das lag natürlich daran, dass die Leute, die beim Auslandsdienst arbeiten, mindestens eine Fremdsprache sehr gut beherrschen, denn das war auch ihr Job. Sie haben die Medien in der jeweiligen Fremdsprache verfolgt und sie waren eine innere Korrektur. Obwohl das nicht immer einfach gewesen ist, haben die älteren Kollegen es uns weitergegeben. Ich finde es toll, dass sie uns Mut gemacht haben, obwohl das politisch vielleicht nicht so korrekt war, aber aus menschlicher Sicht und aus heutiger Perspektive war’s eigentlich toll. Und wenn man heute die bulgarische Journalistik mit der deutschen vergleicht, ist es natürlich schwierig. Die bulgarische Journalistik hat viel aufgeholt, aber ich denke, insbesondere was die Recherchen und die unparteiische Berichterstattung betrifft, gibt es noch einen weiten Weg zu gehen. Aber was den Auslandsdienst betrifft, denke ich, der war immer ein paar Schritte voraus, weil die Kollegen bei Radio Bulgarien immer diesen Vergleich hatten und immer bemüht waren, eben diesem europäischen Journalistikstandard näher zu kommen.“

Was hat euch das Radio beruflich und auch privat gebracht?

Privat hat mir das Radio erst mal einen neuen Lebenspartner gebracht, und das ist der neben mir sitzende Ralf Petrow, und bin sehr froh darüber. Wir haben damals sehr viel Zeit auch privat verbracht, wir haben gemeinsam gefeiert. Wir haben eben nicht nur gearbeitet, sondern waren und sind es bis heute noch privat befreundet. Rein beruflich hat mich der Rundfunk zuerst Disziplin gelehrt. Das war auf alle Fälle ein Pluspunkt. Und ich habe viel von den älteren Kollegen gelernt. Als ich kam, hatte ich mir eingebildet, es reicht, dass man Deutsch kann. Man setzt sich hin und macht Sendungen. Das ist aber nicht so, denn zu der Arbeit gehört auch viel Übersetzung dazu und das hat man einfach nicht gekonnt, das hat man von den älteren Kollegen gelernt. Und sie hatten ein so fundiertes Wissen über Geschichte und viele andere Themen!

Von Georgetta und Ralf lernten zwei weitere emblematische Männerstimmen der deutschen Sendungen von Radio Bulgarien: Aleko Djankow und Peter Georgiew. Beide haben den Radiojob nicht unbedingt bewusst angestrebt. Peter war Deutschlehrer, bewarb sich bei einer großen Ausschreibung und ist zu seiner eigenen Überraschung 1993 eingestellt worden. Nach kurzen Abstechern zur Presse fand Peter kürzlich den Weg zurück in die deutsche Redaktion.

СнимкаAleko Djankow, der heute in die Fußstapfen seines Vaters tritt und deutschsprachige Literatur ins Bulgarische übersetzt, wohnte damals noch in Bonn und gehörte ebenfalls zu jenen fünf neuen Mitarbeitern der deutschen Redaktion, die im Frühjahr 1993 den Job bekommen haben.

Ja, ich bin jetzt 11,5 Jahre nicht mehr bei der deutschen Redaktion, aber in der Zwischenzeit war ich schon öfters hier im Rundfunk. Also so sehr weit entfernt habe ich mich nicht und mit dem Herzen bin ich immer noch dabei. Es ist wunderschön, in diesem Studio zu sein, in dem wir zuletzt Nachrichten aufgenommen haben. Ich fühle mich wie Zuhause, denn das ist mein erstes und wahrscheinlich einziges Zuhause im Berufsleben.“

Beruflich bin ich hier eigentlich aufgewachsen, kann man sagen. Ich war 25 Jahre alt, als ich zum Radio kam, und vom Journalismus hatte ich keine Ahnung. Was ich heute kann, habe ich hier gelernt. Und das nicht nur im Bereich Rundfunk, sondern auch Internet.

In der Zeit, als wir miteinander gearbeitet haben, hat Radio Bulgarien eine kleine technische Revolution durchgemacht, und Peter hat daran wesentlich mitgewirkt, den Sprung ins Internet zu schaffen. Heute haben wir die Kurzwellen nicht mehr, wir sind nur online. Wie seht ihr die Zukunft von Radio Bulgarien?

СнимкаDas ist irgendwie ein allgemeiner Trend, weg von der Kurzwelle generell, und das Internet ist groß im Kommen, nicht nur was den Rundfunk anbetrifft. Ich glaube, am ehesten wird es die Printmedien betreffen, sie werden als erste in ihrer jetzigen Form verschwinden. Beim Rundfunk kann ich mir es eigentlich nicht vorstellen, denn im Unterschied zu den Zeitungen ist der Rundfunk ein besonderes Medium. Man kann eigentlich kein anderes Medium "zu sich nehmen", während man etwas anderes macht. Eine Zeitung lesen, während man Auto fährt, würde total schief gehen."

Der BNR wird in Bulgarien oft als das alte Haus bezeichnet, und zwar aus dem Grund, dass hier Traditionen aufgebaut und gepflegt werden.

Das ist das wichtigste, denn Traditionen sind wichtig in einem Bereich, der so schnelllebig ist, wie die Medienlandschaft. Man muss diese Traditionen wirklich pflegen, man muss aus der Geschichte lernen, und Fehler, die vor Zeiten begangen wurden, vermeiden. Und deshalb finde ich den Rundfunk gut, und den BNR besonders viel besser, weil er eben das macht."

Die Traditionen pflegen und den Blick nach vorn gerichtet – so verstehen wir, die deutsche Redaktion von Radio Bulgarien, unsere Aufgabe. Sie stets auf dem Laufenden halten, ausführlich, kompetent und glaubwürdig informieren – diesem Ihren Anliegen sind wir verpflichtet. Und deshalb feiert heute der Bulgarische Rundfunk sein 80. Jubiläum mit seinen ehemaligen und heutigen Kollegen, aber auch mit seinen Hörern im In- und Ausland. Und ihnen allen sind wir vom Herzen dankbar, dass es sie gab und es sie noch immer gibt.



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