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Die Befreiung eröffnete Bulgarien europäische Perspektiven

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„Schlacht am Schipkapass”, Gemälde von Dimitar Gjudschenow
Foto: Archiv

Am 3. März begeht Bulgarien seinen Nationalfeiertag. An diesem Tag wurde in San Stefano die bedingungslose Kapitulation des Osmanischen Reiches nach dem russisch-türkischen Krieg von 1877/78 unterzeichnet. Bulgarien konnte auf den Karten Europas wieder als Staat erscheinen.

Mit der Befreiung gipfelten die langjährige geistige Wiedergeburt und die nationalen Befreiungskämpfe der Bulgaren. Einer der Höhepunkte bildete der Aprilaufstand von 1876. Er stellte keine isolierte Erscheinung dar, sondern war Teil einer der vielen Krisen in Südosteuropa, die mit dem Aufstand in Bosnien-Herzegowina von 1875 ihren Anfang genommen hatte. Warum beschlossen die bulgarischen Revolutionäre daraufhin, dass die Zeit auch für einen Aufstand in Bulgarien reif sei? Eine Antwort darauf gab uns Dr. Dimitar Christow vom Geschichtsinstitut der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften:

Die Anführer der Befreiungsbewegung waren sich darüber im Klaren, dass die Bulgaren nicht die Kraft für einen erfolgreichen Aufstand hatten“, erzählt der Geschichtswissenschaftler. „Daher warteten sie den geeigneten Augenblick ab, der sich im Ausland ereignet und wie im Falle des Aufstandes in Bosnien-Herzegowina die Aufmerksamkeit der türkischen Streitkräfte für sich beansprucht. Das erleichterte die Befreiungsbewegung.

Wie wurde der Aprilaufstand in Bulgarien in der europäischen Presse wiedergespiegelt? Welche Ereignisse zeugten das meiste Mitgefühl und zogen die Beobachter auf unsere Seite?

Am stärksten beeindruckte die internationale Öffentlichkeit die grausame Niederschlagung des Aufstandes und die Gräuel von Batak und Peruschtitza. Die meisten Publikationen handelten jedoch von dem, was der Poet und Revolutionär Christo Botew tat. Er besetzte mit seiner Freischar das österreichisch-ungarische Schiff „Radetzky“, um sich am Aufstand beteiligen zu können. Und noch ein Ereignis lenkte damals die Aufmerksamkeit auf sich, obwohl es heute wenig bekannt ist: die Ermordung zweiter Diplomaten in Thessaloniki. Die Konsule Deutschlands und Frankreichs verteidigten die christliche Bevölkerung, als eine aufgebrachte Gruppe Moslems sie im Hafen verfolgte und erschlug. Beide Diplomaten werden Opfer der fanatischen Massen geworden und Europa konnte nicht mehr gleichgültig zuschauen.“

Welche Haltung nahmen die Großmächte gegenüber einem eventuellen Befreiungskrieg um Bulgarien ein, fragten wir weiter den Historiker.

In jener Epoche entwickelte sich die internationale Politik unter den Bedingungen komplizierter gegenseitiger Beziehungen der Großmächte untereinander, von der jede seine Interessen verfolgte“, sagt Dr. Dimitar Christow. „Daher schenkte man nicht nur dem Freiheitswillen der Bulgaren eine Beachtung. Man versuchte als erstes das Problem auf diplomatischem Wege zu lösen. Man berief Ende 1876 die sogenannte Konferenz von Konstantinopel ein. Sie scheiterte jedoch letztendlich am Verhalten des Osmanischen Reiches, angestachelt von der britischen Diplomatie. Man erkannte dann, dass als einzige Lösung nur ein Befreiungskrieg in Frage kam, denn nur Russland zu führen bereit war. Es war ein Krieg zum Schutz der unterjochten slawischen Brüder und orthodoxen Christen. Für die Russen selbst bot dieser Krieg die Möglichkeit für eine Revanche für den verlorenen Krim-Krieg.

Welche Nationalitäten nahmen als Teil der russischen Armee am Befreiungskrieg teil?

Die Zahl der verschiedenen Nationalitäten war sehr groß, entsprechend der Vielzahl an Völker und Minderheiten innerhalb des Russischen Reiches“, antwortet Dr. Christow von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. „Innerhalb des Imperiums gab es zwei selbständige Königreiche: Finnland und Polen. Polnische Truppen nahmen nicht direkt am Krieg teil, dafür aber gehörten polnische Offiziere dem russischen Generalstab an, der seinen Beitrag im Krieg leistete. Die Finnen nahmen hingegen aktiv an den Kämpfen teil, vor allem um die Stadt Plewen. Überhaupt beteiligten sich viele Ostsee-Anrainer am Russisch-türkischen Krieg. Unter den Offizieren und Generälen stößt man auf etliche Namen, die eine Deutschstämmigkeit verraten. Die Hauptlast der Kriegshandlungen mussten jedoch die Russen als zahlenmäßig größter Teil der Streitkräfte tragen. Am Krieg nahmen auf russischer Seite auch Rumänen, Serben und Montenegriner teil.

Bulgaren beteiligten sich jedoch auch an den Kämpfen! Wie kann ihr Beitrag eingeschätzt werden?

Sie hielten sich tapfer – die bulgarischen Kämpfer waren sich darüber im Klaren, dass dieser Krieg die entscheidendste Möglichkeit ist, dem Volks die Freiheit zu geben und dass man sich das nicht entgehen lassen durfte“, erzählt weiter der Historiker. „Aus diesem Grund wurde die bulgarische Freischärlerbewegung ausgeweitet. Die bedeutendsten Kämpfe, die die Bulgaren geführt haben, waren am Schipka-Pass, aber auch in den nachfolgenden Schlachten leisteten sie ihren Beitrag. Die Bulgaren halfen vor allem in der Aufklärung und bei der Überquerung des Balkans unter harten Winterbedingungen.

Der Krieg endete mit dem Sieg Russlands. Der im Istanbuler Vorort San Stefano abgeschlossene Vorfrieden eröffnete die Möglichkeit zur Wiederherstellung des bulgarischen Staates. Das geschah natürlich nicht auf einmal. Russland bekam den Wiederstand seiner schärfsten Konkurrenten zu spüren – England und Österreich-Ungarn. Nach dem Präliminarfrieden begannen Verhandlungen mit diesen beiden Staaten, um die beste Variante zu finden, damit der Krieg für Russland nicht weiter ausgedehnt wird, wozu das Land wirklich keine Kräfte mehr hatte. So kam es im Sommer des Jahres 1878 zum Berliner Kongress, auf dem der Vertrag von San Stefano revidiert wurde. Russland hatte aber bereits bei seinem Abschluss hervorgehoben, dass es sich um einen Vorfrieden handelt, der entsprechend den internationalen Gepflogenheiten erst mit den anderen Großmächten abgesprochen werden muss.

Und so wurde das Bulgarien von San Stefano in drei Teile zerrissen, wobei man nur einem Teil den Namen Bulgarien zugestehen wollte. Das heutige Nordbulgarien mit dem Gebiet von Sofia sollte nach den Kongressbeschlüssen ein autonomes und tributpflichtiges, also ein türkisches Lehnsfürstentum bilden. Südbulgarien sollte unter der Bezeichnung Ostrumelien eine von der Hohen Pforte halbabhängige Provinz mit ausgedehnter administrativer Autonomie bleiben. Der dritte Teil Bulgariens von San Stefano, also das ganze Mazedonien, wurde wieder der direkten und uneingeschränkten Autorität des Sultans unterstellt. Faktisch blieb nur ein Teil des bulgarischen Volkes mit einem eigenen, halbwegs unabhängigen Staatswesen frei.

Es kam unumgänglich zu einer Vereinigungsbewegung, die 1885 erste Früchte trug: vereint wurden das Fürstentum Bulgarien und Ostrumelien. Im darauffolgenden Jahrhundert nahm Bulgarien gleich an mehreren Kriegen teil, geleitet von der Idee der nationalen Vereinigung. Es stellten sich Erfolge ein, aber auch nationale Katastrophen.

Bulgarien wandelte aber bereits auf europäischen Wegen. Ein erster großer Schritt war mit der Neugründung des bulgarischen Staates 1878 getan worden.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



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