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Unsere verlogene Welt

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Die Boykottkampagne gegen die BILD-Zeitung wegen der Germanwings-Berichterstattung könnte der Anstoß zu einem Überdenken der Rolle der Medien im deutschen Alltagsleben. Könnte das auch in Bulgarien passieren?
Foto: bild.de

150 Familien begehen dieses Jahr ein trauriges Osterfest. Ein Flugzeugabsturz ist daran schuld. Darüber ist ausreichend berichtet worden, zum Teil sehr geschmacklos. Es galt den Spagat zu schaffen zwischen ausführlicher Berichterstattung auf der einen Seite und angemessener Zurückhaltung auf der anderen Seite. Und während die Flugzeugkatastrophe für die Medien in Deutschland, Frankreich und Spanien seit dem 24. Мärz irgendwie berechtigt ganz oben auf der Themenliste steht, wird die Katastrophe in den bulgarischen Medien seitdem genüsslich ausgeschlachtet. Fern ab von Mitgefühl und Pietät.

Foto: Tankstelle PapenburgEin großer öffentlich-rechtlicher Sender aus Deutschland hatte via Facebook versichert, dass in seinen sozialen Kanälen kein "Best Of Flugzeugabstürze" geben wird und auch keine Bilder von trauernden Angehörigen veröffentlicht werden. "Aktuelle Erkenntnisse zum Absturzhergang werden wir kommunizieren, sobald sie uns vorliegen", hieß es noch. Der Sender hielt sich nicht ganz daran. Noch weniger tat es die BILD-Zeitung. Eine Kolumne sorgte sogar für einen bisher beispiellosen Boykott von Deutschlands auflagenstärkster Zeitung. Denn mit der inflationären Berichterstattung über den Absturz der Germanwings Maschine in Südfrankreich hat die BILD-Zeitung nach Meinung vieler Menschen eine Grenze überschritten. Wilde Spekulationen, Fotos der Toten, die Veröffentlichung der Identität des Piloten mit Nennung seines Heimatortes und die Aufzählung von Informationen von zweifelhafter Relevanz. Der Facebook-Post einer kleinen Tankstelle zum Zeitungsboykott könnte der Anstoß zu etwas Größerem sein.

BILD-Titelseite, 27. März 2015   Foto: meedia.deDerweil in Bulgarien: Die sonst über chronischen Geldmangel meckernden Medien schickten ihre Teams nach Montabaur und in die französischen Alpen, leisteten sich tagelang teure Live-Schalten. Je mehr spekulative Interviews im Frühstücksfernsehen geführt werden, um so höhere Einschaltquoten ernten die Sender. Je dramatischer der Vorspann in den Hauptnachrichten ist, um so "professioneller" kommen sich die Nachrichtenmacher vor. Je trauriger die Musik an den drei europaweiten Trauertagen, um so mehr Mitleid beim Zuschauer und Hörer erhoffen sich die Sender. Radio Bulgarien übrigens eingeschlossen. Eine verlogene Welt. An einen Boykott ist hier nicht zu denken. Und auch an keine Diskussion darüber, wie weit man in solchen Fällen als Journalist gehen darf.

Eine der ersten Lektionen im Journalistenjob bezieht sich auf die Einhaltung der simplen Regel der Unschuldsvermutung. In dubio pro reo. Und zu den nächsten Lektionen gehört die Achtung der Privatsphäre. Diese Grundregeln kennen nur die wenigen Journalisten in Bulgarien, und noch weniger von ihnen halten sich daran. Den leisen Nebensatz des französischen Staatsanwalts, bei der Absturzabsicht des Co-Piloten der Germanwings Maschine handele es sich lediglich um eine Hypothese, haben die Medien weltweit gern überhört. Wie werden aber diese Medien reagieren, wenn in zwei, fünf oder zehn Jahren herauskommt, dass die laut verkündete Absturzursache nur eine Hypothese geblieben ist? Abgestürzt ist nicht nur ein Flugzeug mit 150 Menschen an Bord, sondern leider auch der Journalismus.

Journalisten sind auch nur Menschen. Voyeurismus und Sensationsgeilheit sind uns allen eigen. Seit es soziale Netzwerke gibt, gibt es auch den schriftlichen Nachweis. Nach dem Flugzeugunglück wurde jeder im Netz kurzerhand zum Experte. Dort tobt man sich aus: ob Tennis, Fußball, Krim-Annexion, Schuldenkrise oder eben Cockpit-Regeln – jeder kennt sich aus und lässt den wildesten Spekulationen freien Lauf. So geschehen ist es auch mit dem angeblich exklusiven Mitschnitt aus dem abstürzenden Flugzeug. Er lief mit der Bemerkung: "Noch ist unklar, ob der Mitschnitt echt ist". Allein diese Bemerkung ist Grund genug, ihn nicht laufen zu lassen.



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