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90 Jahre seit dem Bombenschlag in der Kirche „Heilige Nedelja“

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Die Kirche „Heilige Nedelja“ nach dem Attentat
Foto: wikipedia.org

Am 16. April 1925 – vor genau 90 Jahren – ereignete sich in der Kirche „Heilige Nedelja“ im Zentrum Sofias einer der blutigsten politischen Bombenanschläge des 20. Jahrhunderts – mehr als 200 Menschen wurden getötet, mehr als 500 wurden verletzt. Das Attentat, bei dem die gesamte politische und militärische Spitze des Landes, einschließlich Zar Boris III., mit einem Schlag getötet werden sollte, und seine Folgen stellten den Höhepunkt der politischen Krise in Bulgarien nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg dar.

Fast zwei Jahre zuvor, im Juni 1923, wurde die linke Regierung der Agrarpartei, nachdem sie eine Reihe schwerwiegender politischer Fehler begangen hatte, mit einem Militärputsch gestürzt und der Versuch eines Aufstandes im September des selben Jahres gegen die eingesetzte rechte Regierung wurde grausam und blutig niedergeschlagen. Die damals noch sehr junge Kommunistische Partei (sie war erst 1919 gegründet worden) schloss sich den Ereignissen erst sehr spät und nur unter dem Druck der Kommunistischen Internationale an, die zudem die Situation in Bulgarien falsch eingeschätzt hatte. Nach dem gescheiterten September-Aufstand setzte die KP den eingeschlagenen Kurs eines „bewaffneten Kampfes“ – heute würde man „Terrorismus“ dazu sagen – fort. Im Mai 1924 fand im Witoscha-Gebirge bei Sofia eine geheime Konferenz statt, bei der die Schaffung einer illegalen paramilitärischen Organisation der Partei mit Major Kosta Jankow an der Spitze beschlossen.

Nach den vielen Opfern im September-Aufstand von 1923 und der Zerschlagung der Parteistrukturen der Kommunisten und der Agrarier – beide Parteien wurden verboten – waren die Möglichkeiten für eine Revolution sehr stark eingeschränkt, sagte der Historiker Prof. Ljudmil Spassow zur damaligen Situation.

Die sowjetischen Agenten, die 1924 nach Bulgarien geschickt wurden, stellten fest, dass es zu diesem Zeitpunkt im Land nur ca. 2000 bis 3000 Kommunisten gab, davon 800 in Sofia“, erzählt Prof. Spassow.

In Bulgarien wurde ein stiller Bürgerkrieg geführt – auf beiden Seiten gab es Opfer - meistens durch Mordanschläge. Die regierende Rechte mit Premier Alexander Zankow an der Spitze setzte ebenfalls terroristische Methoden ein – hinter einer Rehe von politischen Morden in dieser Zeit stand wahrscheinlich sein Geheimdienst. Schon Ende 1924 plante die paramilitärische Organisation der Kommunisten daher als Vergeltung einen großen Bombenanschlag gegen den repressiven Staatsapparat. Parallel dazu wurde von linken Generälen und rechten Agrariern ein Staatsstreich vorbereitet. Von Moskau aus, wo man schon einen besseren Blick auf die Lage in Bulgarien hatte, riet man den bulgarischen Kommunisten, diesen Putsch zu unterstützen. Diese stellten sich aber das Attentat als großes Signal für einen massenhaften Volksaufstand vor, wozu es allerdings gar nicht kam.

Die Ereignisse entwickelten sich schnell und gerieten zunehmend außer Kontrolle. Im Februar und März wurden mehrere kommunistische Funktionäre und Politiker ermordet – darunter zwei Parlamentsabgeordnete, die auf offener Straße niedergeschossen wurden. Die Komintern rät am 14. April 1925 der bulgarischen KP, den Kurs auf einen bewaffneten Aufstand einzustellen. Doch es ist schon zu spät. Am selben Tag wurde in Sofia General Konstantin Georgiew, erschossen.

Konstantin Georgiew war nicht irgendwer, er war nicht nur ein hochrangiger Militär, sondern auch Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der regierenden Partei. Es war also abzusehen, dass sich zum Trauergottesdienst vor seiner Beisetzung die gesamte politische und militärische Elite des Landes versammeln wird“, sagt Prof. Ljudmil Spassow. „Die kommunistischen Attentäter verteilten insgesamt 25 Kilogramm Dynamit und Giftgas-Kapseln in der Dachkonstruktion der Kirche. Um punkt 15:00 Uhr am 16. April begann die Messe. Es hatten sich so viele Menschen versammelt – hohe Militärs, Parlamentsabgeordnete, Minister, Banker, Vertreter von Wirtschaft und Kultur u.a., dass Metropolit Stefan, der Erzbischof von Sofia, bat, den Sarg und den Ministerrat näher an die Kanzel zu versetzen, damit noch mehr Menschen hineinkommen konnten. Um 15:20 Uhr wurden die Sprengsätze gezündet. 130 Menschen starben auf der Stelle, die Zahl der Opfer wuchs später auf 213 an, mehr als 500 Menschen wurden verletzt.

Außen an der Kirche hängt eine Gedenktafel für die Opfer des Attentats.  Foto: wikipedia.org
Zar Boris III. entging dem Anschlag, weil er sich verspätet hatte. Dem Anschlag folgten Massenfestnahmen und Terror. Dabei wurden auch viele getötet, die weder etwas mit dem Attentat selbst, noch mit dem „bewaffneten Kampf“ der Kommunisten zu tun hatten. Dazu gehörten auch Intellektuelle wie der Journalist Josef Herbst und der Dichter Geo Milew – ein glänzender Vertreter des bulgarischen Modernismus. Die bulgarische Nation erreichte im April 1925 den tiefsten Punkt ihrer Spaltung.

Übersetzung: Petar Georgiew



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