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Das „Gesetz gegen die Handelsketten“ – Reform oder Populismus?

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Dieser Tage billigte das Parlament in erster Lesung ohne jegliche Debatten Novellen im Gesetz gegen die Wettbewerbsbeschränkungen. Wegen ihrer spezifischen Ausrichtung werden diese Novellen auch „Gesetz gegen die Handelsketten“ genannt. Sie wurden schon vor längerer Zeit von der Bulgarischen sozialistischen Partei vorbereitet, als sie noch nicht in Opposition war. Sie wurden schon mal vom alten Parlament gebilligt, doch Staatspräsident Plewneliew machte von seinem Veto-Recht Gebrauch und schickte sie zur Überarbeitung zurück. Seine Motive waren, dass der öffentliche Effekt dieser Gesetzesänderungen schwer abzusehen ist und dass sie zu wesentlichen Preisanstiegen der Grundnahrungsmittel und anderer Lebensmittelpreise führen könnten.

Die Befürworter des Novellierungsentwurfs betonen ihrerseits, dass er unlautere Geschäftspraktiken unterbinden soll, die sich in einer Ungleichstellung zwischen den vertragsschließenden Seiten zeige, wenn die eine Seite ein Kleinunternehmen und die andere – eine große Supermarktkette ist. In vergangenen Jahren beklagen sich in der Tat viele solche kleine Firmen, dass ihnen von den Handelsketten untragbare Vertragsbedingungen aufgezwungen werden, die sie an den Rand der Existenz bringen – von äußerst niedrigen Aufkaufpreisen und Exklusivitätsklauseln bis zu monatelanger Verzögerung der Überweisung der ihnen zustehenden Summen.

Die von der Linken vorgeschlagenen Änderungen sehen die Einführung des Begriffs „Bedeutende Marktkraft“ für große Unternehmen vor, die so große Anteile am Einzelhandel haben, dass siepraktisch in der Lage sind, Druck auf ihre Lieferanten und auf die Kunden auszuüben und so den freien Markt und die juristische Geleichstellung von Vertragspartnern einschränken könnten.

Laut einigen Experten, wie zum Beispiel Petar Ganew vom Institut für Marktwirtschaft, ermangelt es den Novellen aber an Klarheit. Er sieht das Hauptproblem darin, dass der Begriff „Bedeutende Marktkraft“ nicht ausreichend definiert ist und das auch nicht gesagt wird, welche Schritte der Ausschuss für Wettbewerbsschutz, wie das bulgarische Kartellamt heißt, unternehmen darf oder muss, wenn Verstöße gegen die neuen Paragraphen festgestellt werden:

Alle diese Unklarheiten führen dazu, dass es sehr schwer einzuschätzen ist, welche Folgen diese neue Regulierung haben wird“, meint er. „Eines ist sicher – das Kartellamt erhält dadurch wesentlich größere Vollmachten. Das könnte aber auch einerseits zu einer Überlastung der Regulierungsbehörde mit übergroßen Erwartungen führen. Das ist auch jetzt schon zum Teil der Fall, zum Beispiel in Bezug auf die Kraftstoffpreise. Eine andere Befürchtung ist, dass der Ausschuss für Wettbewerbsschutz, ausgestattet mit größeren Vollmachten, zu einem Instrument für die Erfüllung populistischer Versprechen der Politiker wird“, so der Experte.

Andere Experten meinen sogar, dass diese Ausstattung des Kartellamtes mit politischen Funktionen und stärkeren Vollmachten zu einer Einschränkung des Wettbewerbs und zu Preisanstiegen führen könnte, was eigentlich genau das Gegenteil seiner Funktion ist. Jordan Mateew, Chef des „Verbandes für modernen Handel“, dem auch die großen Handelsketten in Bulgarien angehören, meint, dass eine zu starke Regulierung die Handelsketten dazu bringen werde, ihre Zusammenarbeit mit bulgarischen Produzenten wesentlich einzuschränken und die Importe zu erhöhen, was sowohl den Lieferanten als auch den Kunden schaden würde. Mateew meinte ferner, dass diese Novellen das Ergebnis einer starken Lobby seien, die die Interessen eines großen Investors mit unlauterem Kapital vertritt. Dieser versuche, die ausländischen Investoren aus dem bulgarischen Einzelhandel zu verdrängen. Einen konkreten Namen nannte er nicht.

Jordan Mateew führte weiter an, dass der moderne Handel die Preise niedrig halte, indem er den Weg der Waren vom Produzenten bis zum Endverbraucher verkürze. Er gab zu verstehen, dass die Novellen, die unter anderem die Verwendung von zentralen Warenlagern einschränken würden, diesen Weg verlängern und so zu Preisanstiegen zwischen 3 und 5 Prozent führen könnten. Das sei auch schlecht für die kleinen Produktionsunternehmen, die dann den Transport ihrer Waren zu jeder der Filialen der jeweiligen Handelskette selbst zu tragen hätten.

Nicht an letzter Stelle führen die Gegner des „Gesetzes gegen die Handelsketten“ an, dass die Beziehungen zwischen den großen Supermarktketten und ihren Lieferanten nicht mehr die gleichen seien wie vor einigen Jahren, als die Arbeit an den Novellen begonnen hat. Mit anderen Worten, sie seien schon veraltet, noch bevor das neue Gesetz überhaupt gebilligt ist.

Sie geben auch noch zu bedenken, dass nach Angaben der Agentur ICAP, die die Marktentwicklung beobachtet, der Markt für Verbrauchsgüter in Bulgarien, zu denen auch die Lebensmittel gehören, schon das sechste Jahr in Folge schrumpft.

Die Gesetzgeber sollten also vor der endgültigen Billigung des Novellierungsentwurfs höllisch aufpassen, dass sie nicht über den an sich löblichen Ansatz, die kleinen Produzenten zu schützen, hinausschießen und den Wettbewerb in die andere Richtung verzerren. Ganz besonders sollten sie sich davor hüten, das Gesetz für populistische oder Lobby-Interessen zu missbrauchen.

Übersetzung und Redaktion: Petar Georgiew



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