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Garmen - ein Schrei nach Rechtstaatlichkeit

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Foto: BGNES

Das, was am vergangenen Wochenende in Garmen passiert ist, überraschte nur jene, die die Roma-Minderheit ignorieren. Und das tun viele in Bulgarien. Allen voran die politische Elite. Denn sie ist dafür verantwortlich, dass die EU-tauglichen Gesetze nicht greifen. Namentlich Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Bauamt, Kommunalverwaltung, Sozialamt – die Liste ist lang. Die Proteste der bulgarischen Bevölkerung im südwestbulgarischen Garmen gegen das asoziale Verhalten der dortigen Roma-Minderheit werden gern als ethnischer Konflikt dargestellt. Dabei ist es ein sozialer Konflikt, der aus dem Schrei nach Rechtstaatlichkeit und Gerechtigkeit herruht.

Auslöser der Proteste war eine Schlägerei am späten Samstagabend, als bulgarische Dorfbewohner eine Roma-Familie aufgefordert haben, die Musik bei einer Familienfeier leiser zu drehen. Daraufhin haben die Roma eine Massenschlägerei mit zahlreichen Verletzten entfacht. Seitdem protestieren die Dorfbewohner und haben der Regierung eine Woche Zeit gegeben, konkrete Maßnahmen gegen die steigende Zahl von Diebstählen und Hausfriedensbrüchen zu unternehmen. Innenministerin Batschwarowa versuchte zu schlichten. Erfolglos. Nun steht auch die Regierungskoalition unter Druck, nachdem die Patriotische Front im Parlament gedroht hat, ihre Unterstützung für das Kabinett wegen der andauernden Bagatellisierung der Roma-Kriminalität abzuziehen. Doch, dieser nationalistisch eingehauchte Populismus nützt höchstens abends in der Dorfkneipe. Er löst die Probleme nicht. Die Androhung der 18 Abgeordneten der Patriotischen Front könnte höchstens der etwas abgeblassten Partei helfen, ihr Wahlergebnis bei den Kommunalwahlen im Herbst aufzubessern. Ein Konzept über die langfristige Lösung des Roma-Problems hat die Patriotische Front allerdings nicht. Und da ist sie nicht die einzige – Gesellschaft leisten ihr alle Parlamentsparteien. Mehr noch – so manch eine Parteizentrale in Sofia hat nichts dagegen, dass sich an der Lebensweise der marginalisierten Roma-Minderheit nichts ändert. Im Herbst stehen Kommunalwahlen an und in den Roma-Gettos blüht der Stimmenkauf. Die Roma-Siedlungen am Rande jeder Stadt in Bulgarien werden absichtlich geduldet, denn nur ungebildete und sozial genötigte Menschen neigen leicht dazu, ihre Stimmen bei Wahlen zu verkaufen.

Die Ausschreitungen der vergangenen Woche haben Probleme an die Oberfläche gebracht, die seit Jahren bewusst ignoriert werden. Es sind soziale und demografische Probleme. Wenn wir von der hohen Zahl der von ihren Müttern verlassenen Kinder in den Waisenheimen sprechen, dann lassen wir die ethnische Zugehörigkeit dieser Mütter und Kinder aus politischer Korrektheit aus. Die Großzahl dieser Mütter und Kinder sind Roma. Wenn wir in den Nachrichten statistische Angaben zitieren, dass die jüngsten Mütter in der Europäischen Union aus Bulgarien kommen, dann lassen wir ihre ethnische Zugehörigkeit aus politischer Korrektheit aus. Die Roma-Mädchen bekommen oft mit 15 ihr erstes Baby. Wenn wir vom Lebensunterhalt der meist ungebildeten und arbeitslosen Roma sprechen, der sich aus Sozialhilfe, Kindergeld und Diebstahl zusammensetzt, verschweigen wir aus politischer Korrektheit, dass die Politik gefordert ist, diesen Umstand zu ändern. Wenn wir vom illegalen Holzhandel und der Abholzung der Wälder berichten, verschweigen wir, dass im Wald zwar in der Regel Roma-Banden unterwegs sind, das abgeschlagene Holz allerdings von Bulgaren aufgekauft wird. Wenn wir beklagen, dass der Schrotthandel fest in Roma-Händen ist, verschweigen wir, dass der Schrott, oft in Form von gestohlenen Teilen des Schienennetzes, von gut organisierten bulgarischen Kriminellen aufgekauft wird.

Die Armut und die soziale Ausweglosigkeit sind nicht ethnisch gefärbt. Es ist höchste Zeit, dass sich die politische Elite ein langfristiges Konzept überlegt, wie diese halbe Million Menschen in die bulgarische Gesellschaft integriert werden, bevor die sozialen Spannungen in ethnische Auseinandersetzungen ausufern. Man könnte damit anfangen, die geltenden Gesetze anzuwenden. Unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit.



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