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Big Brother auf der Straße – Autofahrer nehmen die Sache in die eigenen Hände

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Foto: BGNES

Ein Aufruf macht die Runde in Bulgarien: Autofahrer sollen Raser auf der Straße per Videokamera aufnehmen und die Mitschnitte an die Verkehrspolizei weiterleiten. So sollen die zahlreichen Verkehrssünder auf Bulgariens Straßen zur Vernunft gebracht werden. Die neue Bürgerinitiative, die sich auf Facebook organisiert und binnen einer Woche rund 5.000 Anhänger gefunden hat, stellt die mobilen Videokameras kostenlos zur Verfügung. Damit verpflichten sich die freiwilligen Helfer, die Videos auf Facebook zu veröffentlichen und sie an die Verkehrspolizei weiterzuleiten.

"Wenn die Raser wissen, dass sie sehr wahrscheinlich gedreht werden, werden sie es sich zwei Mal überlegen, ob sie über eine rote Ampel fahren oder rechts überholen", argumentierte Wladimir Todorow von der Vereinigung der Verkehrsopfer. Von der Initiative ist auch die Polizei begeistert – sie sei eindeutig eine Hilfe im ungleichen Kampf gegen Verkehrssünder.

Ehrlich gesagt, ist die Videokampagne besser, als die mysteriöse Eigeninitiative des Bürgermeisters von Nowa Zagora, der unlängst 50 Kilogramm Zucker auf die Straßen seiner Gemeinde verstreuen ließ – so sollten die bösen Geister vertrieben werden, die für die zahlreichen Verkehrsunfälle mit Todesopfern verantwortlich sind.

Der Kampf gegen den regelrechten Krieg, der seit Jahren auf den bulgarischen Straßen ausgetragen wird, scheint eine causa perduta zu sein. Allein seit Jahresanfang haben bei Verkehrsunfällen 250 Menschen ihr Leben verloren. Darunter sind sehr oft auch Kinder. Und die Ursachen für die Verkehrsunfälle sind immer wieder die gleichen: Trunkenheit am Steuer, überhöhte Geschwindigkeit, Überholen, wo es verboten ist. Aber auch in der Stadt kommt es immer wieder vor, dass man über eine rote Ampel fährt, dass man die Vorfahrt missachtet, dass man eben schnell rechts überholt. Der Stinkfinger ist fast ständig im Einsatz, genauso die Lichthupe, begleitet von den miesesten Beschimpfungen. Vom Parken, wo es einem gerade so passt, ganz zu schweigen.

Foto: Ljubomir Lazarow

Im Straßenverkehr in Bulgarien gilt der Grundsatz, den wir auch aus allen anderen Lebensbereichen her kennen: Es gibt Gesetze, sie werden aber nicht eingehalten. Die neue Initiative, wenn die Autofahrer die Verkehrssünder bezichtigen sollen, ist aber Quatsch. Sie ist sinnlos, weil die "home made" Videos kein Gewicht als Beweismaterial vor Gericht haben. Die Verkehrspolizei kann keine Strafzettel ausstellen, wenn kein Beamte am Ort des Geschehens war und die Rechtswidrigkeit daher nicht selbst festgestellt hat. Die neue Initiative ist nur ein Vorwand dafür, dass die Verkehrspolizei ihren Job nicht machen kann. Und auch ein Vorwand dafür, dass es in Bulgarien angeblich eine funktionierende Zivilgesellschaft gibt. Denn Aufgabe der Zivilgesellschaft ist es ja, den Behörden kritisch auf die Finger zu schauen, so dass sie ihre Arbeit tun, und nicht, den Behörden die Arbeit abzunehmen. Aufgabe der Zivilgesellschaft ist es auch, die Behörden auf Probleme aufmerksam zu machen. Und so will ich die Verkehrspolizei in Sofia gleich auf ein solches Problem aufmerksam machen: alle zwei Minuten überquert ein Fußgänger die große Straßenkreuzung unweit unseres Senders bei rot. Würde sich ein Verkehrspolizist nur für eine Stunde am Tag dort hinstellen, könnte er aus der 50-Euro-Strafe pro Fußgänger die Monatsgehälter von zwei Polizeibeamten kassieren. Und dafür bräuchte er nicht einmal eine Videokamera.



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