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Herrschen lernt sich leicht, regieren schwer*

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Zwischen Februar und April d.J. sind stolze 251 Menschen nach Toschewzi umgezogen, aber man hat sie nie gesehen.
Foto: Radio Vidin

Es stehen wieder Wahlen an. Kommunalwahlen. Zwar erst Ende Oktober, aber für so manch eine eigenartige Wahlvorbereitung ist die Zeit schon abgelaufen. Für den Wahltourismus nämlich. Diese sonderbare Begleiterscheinung bulgarischer Wahlen hat viele Gesichter. Und trotz immer wieder neuer Gesetzesvorstoße, sie aus der Welt zu schaffen, kommt der für seine destruktive Kraft bekannte Bulgare immer wieder auf neue Ideen, das Gesetz zu umgehen. Wie heißt es doch so schön im Volksmund: "Das Gesetz ist ein Tor im Feld. Wer durch das Tor geht, ist selber schuld."

In den vergangenen Jahren kam es bei Kommunalwahlen verbreitet vor, dass Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes von den Parteien organisiert in Wahllokale gekarrt worden sind, um dort ihre Stimme abzugeben, auch wenn sie in der entsprechenden Ortschaft nicht angemeldet waren. Die Partei, die diese Wahlreise organisierte, brauchte eben mehr Stimmen, um den Bürgermeister dort zu stellen. Darauf hat der Gesetzgeber reagiert und sagt nun, um vom Wahlrecht bei Kommunalwahlen Gebrauch machen zu dürfen, muss man als Wahlberechtigter mindestens sechs Monate lang in der entsprechenden Ortschaft angemeldet sein. Rechne man vom nächsten Wahltermin am 25. Oktober sechs Monate zurück, ist die Anmeldefrist längst vorbei. Die Meldungen über die plötzlich angesetzte Völkerwanderung in bestimmten kleinen Ortschaften des Landes häuften sich aber in der vergangenen Woche.

Nichtregierungsorganisationen haben die genauen Zahlen über Neuanmeldungen im ganzen Land im Internet zusammengetragen und ein Bild gezeichnet, das die Moral der Bürgermeisteranwärter in Frage stellt. Das kleine Dorf Toschewzi im Nordwesten hat sage und schreibe 125 Einwohner. Zwischen Februar und April d.J. sind stolze 251 Menschen nach Toschewzi umgezogen. Auf dem Papier, versteht sich. Auf den Straßen des Dorfes hat man sie nie gesehen. Eine ältere Dame aus dem Dorf Makozewo, unweit von Sofia, hat in ihrem Vierzimmer-Einfamilienhaus 25 Neuankömmlingen ein Dach über dem Kopf gegeben. Nicht mehr und nicht weniger. Die Witwe, die eigentlich allein wohnt, kennt keinen von den Neuangemeldeten. Der Bürgermeister, der im Oktober gern wiedergewählt werden will, hat diese Menschen über ihrem Kopf in ihrem Haus angemeldet. Sie sind aber nie im Dorf eingetroffen, und werden es auch nicht. Sie werden aber in den Wählerlisten auftauchen und am 25. Oktober berechtigt sein, ihre Stimme für den amtieren Bürgermeister abzugeben. Die Beispiele sind viel und eines kurioser als das andere.

Die Bürgermeisterwahlen sind für die Einwohner fast wichtiger, als das Parlamentsvotum. Denn von den Fähigkeiten und der Moral des Bürgermeisters hängt im großen und ganzen der Alltag ab. Im "Europa der Regionen" ist der Bürgermeister im Dorf wichtiger, als der Minister in Sofia. In seinen Händen sind Macht und Einfluss konzentriert. Und Geld. Viel Geld. Nach Jahren der Krise und Sparen können die Gürtel nicht mehr enger geschnallt werden. Also heißt die Devise, die Einnahmen erhöhen, was im armen Bulgarien über zwei Wege erreicht werden kann. Damit die Kasse klingelt, müssen entweder EU-finanzierte Projekte, oder öffentlich-private Partnerschaften her. Oder beides.

Wie es funktionieren kann, zeigt das kleine Dorf Tschawdar im Balkangebirge, wo die Schule, der Kindergarten und die Spielplätze besser aussehen, als in vielen westeuropäischen Metropolen. Wo die Straßen keine Schlaglöcher haben und die Straßenbeleuchtung einwandfrei funktioniert. Der dortige Bürgermeister ist mittlerweile über 70, seit über zwölf Jahren im Amt und hat die Chance, die EU-Gelder eröffnen, einfach genutzt, ohne sich selbst zu bereichern.

Es wäre schön, wenn die Bürgermeisterkandidaten, die auf der Jagd nach Stimmen Hunderte Menschen in ihren Ortschaften neu anmelden, das Amt haben wollen, um es dem Bürgermeister von Tschawdar gleich zu tun. Schön wär's... Schaut man sich aber die investigativen Fernsehreportagen dieser Tage an, sieht es nicht danach aus. Viel mehr gehen die Bürgermeisterkandidaten ins Rennen, um sich mit öffentlichen Geldern überteuerte Dienstautos anzuschaffen, wie der Stadtvorsteher von Baltschik. Eine seiner ersten Aufgaben nach der Wahl vor vier Jahren war nämlich, ein öffentliches Ausschreiben über die Anschaffung eines dreibuchstabigen deutschen Geländewagens für über 75.000 Euro aufzugeben. Die Parameter des gewünschten Wagens waren so detailliert und genau, dass nur ein einziges Modell in Frage kam. Der Wagen steht seitdem vor dem Rathaus geparkt. Alles rechtens, aber wo bleibt die Moral?

*Johann Wolfgang von Goethe



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