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Zwei Hörnchen mehr für die Rentner

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Foto: BGNES

"Wer Vater und Mutter bestiehlt und behauptet, das sei keine Sünde, der ist des Verbrechers Geselle", heißt es in den Sprüchen Salomos in der Bibel. Mit dem Gesetz über die Sozialversicherung vom 1. Juli 2015 wurden in Bulgarien zusammen mit dem Mindestlohn auch die Einkommen des ältesten Teils der Bevölkerung aktualisiert, d.h., der Rentner. Das geschah nach der so genannten "Schweizer Regel" – um einen Prozentsatz, der aus der Summe von 50 Prozent der Erhöhung der Versicherungseinkommen und 50 Prozent des Indexes der Verbraucherpreise im vorangegangenen Kalenderjahr berechnet wird. Die Erhöhung beträgt nach dieser Formel also 1,9 Prozent. So hat die Mindestrente nach Erreichen der notwendigen Dienstjahre und des Rentenalters einen "Sprung" von 154,50 Lewa (78,99 Euro) auf 157,44 Lewa (80,50 Euro) pro Monat gemacht. Die Sozialrente, die jedem zusteht, wenn er das Rentenalter erreicht, auch ohne gearbeitet zu haben, wurde auf 115,15 Lewa (58,88 Euro) angehoben. Es wurde eine Obergrenze für die Höchstrente von 910 Lewa (465 Euro) festgelegt. Es sei auch erwähnt, dass die Armutsgrenze im Land derzeit 286 Lewa (146 Euro) beträgt.

Was hat das alles aber mit dem eingangs zitierten Bibelspruch zu tun? Man muss kein mathematisches Genie sein, um auszurechnen, dass diese "Rentenerhöhung" es dem bulgarischen Durchschnittsrentner erlauben wird, seinen monatlichen Einkäufen beispielsweise noch zwei weitere gefüllte Hörnchen hinzuzufügen. Wie meinen die Rentner dazu? Wir hielten eine Rentnerin auf der Straße in Sofia an, um sie zu fragen, ob sie mit ihrer ab dem 1. Juli erhöhten Rente zufrieden ist. Sie scheint aber nicht besonders begeistert zu sein:

"Ich bin überhaupt nicht zufrieden. Was soll ich mir für die drei Lewa, um die meine Rente erhöht wurde, schon kaufen? Ein halbes Kilo Billigkäse... Ich habe 30 Jahre gearbeitet, aber meine Rente ist klein. Ich bin aus Gorna Orjahovitsa nach Sofia gekommen. Als ich noch gearbeitet habe, hat mein Chef mich nur auf den Mindestlohn versichert. Ich bin alleinstehend. Jetzt habe ich nicht einmal Geld, um meine Medikamente zu bezahlen. Ich leiste mir fast gar nichts", sagt die Frau.

Einе andere Rentnerin ist ebenfalls empört und erzählte uns das Geheimnis, wie sie überhaupt über die Runden kommt:

"Diese so genannte Erhöhung ist ein Hohn. Ich bekomme nach 34 Dienstjahren 156 Lewa (rund 80 Euro) Rente im Monat. Ich habe nie für einen Mindestlohn gearbeitet. Ich komme nur schwer zurecht. Ich stehe morgens um 5:00 Uhr auf und gehe putzen für noch 100 Lewa (50 Euro) im Monat, die für meine Medikamente draufgehen. Und mit der Rente komme ich nicht sehr weit, sie reicht gerade so für einen Becher Joghurt pro Tag, für Brot... Ich spare wo ich nur kann."

Für die geringe Höhe ihrer Rente heute gibt die Frau der konservativen Regierung von Iwan Kostow die Schuld. Nach der Hyperinflation Anfang 1997 wurde während seiner Regierungszeit im Jahr 1999 die Denomination des bulgarischen Lews 1000:1 durchgeführt. Zusammen mit den drei Nullen ist aber auch ein großer Teil der Rentenfonds verschwunden, meint sie. "Es war wie ein Diebstahl, der seinesgleichen sucht. Aber jetzt schwören sie, dass sie sehr ehrlich sind. Aber heute leben sie in Palästen, und wir – in Wohnungen von 60 Quadratmetern", ärgert sich die Rentnerin.

Für die niedrigen Renten in Bulgarien ist natürlich wohl kaum nur der Konservative Kostow schuld, schließlich hat nicht seine Denomination des Lews die Ersparnisse gefressen und die Löhne und Renten in die Tiefe purzeln lassen, sondern die vorangegangene Hyperinflation in der Regierungszeit des Sozialisten Widenow. Doch auch ihm allein kann man nicht die Verantwortung zuschieben und auch nicht dem Übergang zur Marktwirtschaft – vielmehr lastet die schwierige Lage der Rentner in Bulgarien auf dem Gewissen aller Politiker – ob links, rechts oder in der Mitte, jetzt oder in den vergangenen Jahrzehnten. Anstatt sich des erträumten verdienten Ruhestands zu erfreuen, beißen die bulgarischen Rentner die Zähne zusammen, zahlen aber Monat für Monat die unerschwinglichen Rechnungen für Heizung und Strom, weil sie es sich nicht vorstellen können, es nicht zu tun. Und der Rest ihres miserablen Monatshaushalts versuchen sie zwischen Medikamenten für ihre zahlreiche Krankheiten und dem Lebensmittelminimum von etwas Brot, Käse und Joghurt aufzuteilen. Und eigentlich sind sie der größte Teil derjenigen, die die schwerste Last der Steuer auf ihre Schultern nehmen, die die Gesellschaft für die herzlosen und kurzsichtigen Politiker zahlt.

Übersetzung und Redaktion: Petar Georgiew



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