Sollten sich die Verhandlungen zum dritten Hilfspaket in die Länge ziehen, könnte die EU Griechenland einen zweiten kurzfristigen Brückenkredit gewähren. Das ließ in einem Interview für die AFP EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker durchblicken. Juncker zeigte sich auch zuversichtlich, dass Griechenland und seine Gläubiger sich „vorzugsweise vor dem 20. August“ einigen könnten, da an diesem Datum die nächste an die Europäische Zentralbank zu zahlende Rate fällig ist. Wäre beim Erklimmen des „Schulden-Olymps“ eine Umleitung griechischen Kapitals nach Bulgarien möglich, fragten wir den Politologen Georgi Kirjakow.
„Die Frage ist nicht, ob das möglich wäre oder nicht, das ist bereits der Fall“, stellt Georgi Kirjakow fest. „Viele griechische Unternehmen verlegen ihre Produktion und ihre Niederlassungen nach Bulgarien. Extrem viele Griechen haben ihre Spareinlagen in Euro in Banken transferiert, die sich in Bulgarien befinden. Soweit ich weiß, haben binnen der letzten Monate 4,5 bis 5 Milliarden Euro in bulgarische Tresore gewechselt. Das ist positiv, weil so die Kreditierung in Bulgarien angekurbelt werden kann. Was die griechischen Bürger angeht, will ich hier ein konkretes Beispiel geben: Falls sie wegen Unzulänglichkeiten im griechischen Steuersystem bislang überhaupt keine Steuern entrichtet haben, so finden sie sich jetzt in der Lage wieder, unverhältnismäßig höhere Steuern zu zahlen, als in Bulgarien. Deshalb ziehen sie es vor, ihre Geschäfte nach Bulgarien zu verlegen und hier weitaus niedrigere Steuern zu zahlen. Meines Wissens haben mehr als 14.000 Firmen ihr Business nach Bulgarien ausgelagert.“
Es wäre erfreulich, falls das eine Belebung der bulgarischen Wirtschaft zur Folge hätte.
„Alles hat eine Kehrseite“, weiß der Politologe Georgi Kirjakow. „Viele Bulgaren, die in den letzten Jahren in Griechenland gearbeitet haben, könnten wegen der Krise wieder nach Hause kommen. Statistischen Angaben zufolge handelt es sich hierbei um über 100.000 Menschen. Falls sie hier keine Arbeit finden, könnte das zu einer erheblichen Belastung des Staatbudgets führen. Da sie in Griechenland Versicherungen gezahlt haben, die auf hohen Löhnen basieren, werden sie solide Abfindungen erhalten, sprich Arbeitslosengelder in Höhe von 1.500 Lewa (ca. 750 Euro) pro Monat. Für bulgarische Standards ist das eine beachtliche Summe. Damit kann man im Laufe von 6 bis 9 Monaten gut über die Runden kommen.“
Die meisten Bulgaren in Griechenland waren in der Dienstleistungssphäre beschäftigt. Es ist nicht einfach, in Bulgarien einen Job zu finden und so könnte die Zahlung der ihnen zustehenden Arbeitslosengelder unseren Staatshaushalt stark belasten.
„Das ist eine Art Ausgleich für den Transfer griechischer Spareinlagen und für die Verlegung griechischer Firmen nach Bulgarien“, meint der Politologe. „Ob der Endeffekt positiv oder negativ ausfällt, ist noch ungewiss. Wichtig für mich ist, dass die bulgarische Wirtschaft ihre Grundlagen festigt. Sie ist immer noch recht anfällig und gleicht in vielem der griechischen. Beide Länder verfügen über eine stark entwickelte Landwirtschaft, die aus EU-Agrarfonds subventioniert wird und auch über einen gut entwickelten Tourismus, der ebenfalls saisonbedingt ist. Die Fremdenverkehrsbranche könnte infolge der sinkenden Zahl russischer Touristen Verluste erleiden. Die Weltkonjunkturlage ist ebenfalls ziemlich instabil und hat Mühe, eine Balance zu finden. Wir müssen nach innovativen Ideen für die Prosperität der bulgarischen Gesellschaft Ausschau halten und sollten uns nicht allein auf EU-Gelder und Saisonindustrien verlassen. Wir können auf die Kreativität der Bulgaren setzen. Allerdings verlassen in den letzten 15 Jahren gerade die Kreativen unser Land, weil eine ganze Reihe von Regierungen nicht imstande waren, für alle, die wirtschaftlich aktiv werden möchten, gleiche Startmöglichkeiten und eine freie Initiative zu sichern. Die Geschäftstätigkeit wird von EU-subventionierten staatlichen Aufträgen anhängig gemacht. Ich kann mir beim besten Willen keine sich auf EU-Gelder verlassende deutsche Wirtschaft vorstellen oder die britische Wirtschaft als eine, die vollkommen von saisoneller Arbeit abhängig wäre. Ohne eine solide Industriebasis kann sich ein Staat kaum voranschleppen und seine Bürger sind zu einer Existenz am Rande der Misere verurteilt“, sagte abschließend Georgi Kirjakow.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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