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Europas Doppelmoral

Foto: EPA/BGNES

Das ging aber schnell: Kaum waren die ersten Flüchtlinge über den Ärmelkanal und schon floss EU-Geld nach Großbritannien und Frankreich. Angesichts des anhaltenden Flüchtlingsandrangs am Eurotunnel hat die Europäische Kommission den beiden Ländern ihre Hilfe zugesagt. Um mit den Herausforderungen durch die erhöhten Flüchtlingszahlen fertig zu werden, bekomme Frankreich 20 Millionen Euro, teilte der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos am Donnerstag mit. Großbritannien habe bereits 27 Millionen Euro zu diesem Zweck erhalten.

Vor knapp drei Jahren konnte Bulgarien von einer solchen blitzschnellen Reaktion aus Brüssel nur träumen, als Tausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien über die grüne Grenze zur Türkei illegal nach Bulgarien einreisten. Stattdessen erntete Sofia harsche Kritik aus Westeuropa. Bürgerrechtler wetteiferten in ihren Formulierungen, wie miserabel es den Flüchtlingen in Bulgariens Aufnahmezentren gehe und wie unvorbereitet das Land auf die Welle illegaler Immigranten sei. Und es sollte noch schlimmer kommen, als sich die damals umstrittene sozialistische Regierung zu einer äußerst umstrittenen Aktion entschied – nämlich einen Grenzzaun zu errichten, um den Zustrom über die Hügel entlang der bulgarisch-türkischen Grenze einzudämmen. Damals machte Bulgarien den Nachbarn in Griechenland nach, die ebenfalls eine Mauer gebaut hatten. Und nun macht es Ungarn Bulgarien nach und baut ebenfalls an einem Grenzzaun zu Serbien. Die Flüchtlingswelle hat einfach eine geografische Dimension und sie verläuft von Süd nach Nord. Bulgarien war überfordert, denn es war wohl mit der damaligen Regierungskrise zu sehr beschäftigt und hatte sich in den Folgen des Bürgerkriegs in Syrien verkalkuliert. Die damals dringend gebrauchte Hilfe für Bulgarien aus der EU – technische wie finanzielle – kam erst Jahre später. Als erstes machten Brüssel, Berlin, Paris und London Sofia schuld an der Misere der fliehenden Menschen. Und warfen der bulgarischen Grenzpolizei bei jeder Gelegenheit vor, die Flüchtlinge zu inhaftieren, bevor ihnen die Asylantragstellung angeboten wird.

Bis heute noch, fast drei Jahre nach der ersten Flüchtlingswelle in Südbulgarien, handelt es sich in mehr als 90 Prozent der Fälle um eine illegale Einwanderung ohne Papiere, also um eine Grenzverletzung. Das Gesetz sieht dabei die vorübergehende Festnahme vor, um die Personalien zu klären, und erst danach besteht die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen.

"Wir haben Leute, die versuchen, illegal in unser Land zu kommen." Das sind Worte des britischen Premierministers David Cameron aus der vergangenen Woche und für Bulgaren hören sie sich bekannt an. Mit diesen Worten argumentiert Cameron seinen harten Abschreckungskurs gegen Flüchtlinge. Auch er hat harsche Kritik dafür geerntet, aber verglichen mit den Formulierungen in Richtung Bulgarien und mit der tendenziösen Berichterstattung in den westeuropäischen Medien ist das nichts.

Die britische Regierung hat härtere Maßnahmen gegen illegale Einwanderung angekündigt. Haus- und Wohnungseigentümer, die an illegale Einwanderer vermieten, sollen künftig mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden können. Darüber hinaus ist geplant, die Löhne illegaler Einwanderer zu beschlagnahmen. Ob sich Bulgarien, Griechenland, Ungarn oder gar EU-Kandidatenländer Serbien und Mazedonien solche Maßnahmen leisten können? Wohl kaum.

Es ist zweifelhaft, dass die Migranten, die auf ein besseres Leben in Westeuropa hoffen, sich von Londons Abschreckung beeindrucken lassen. Frankreich und Großbritannien haben bereits viele Millionen in die Abschottung des Eurotunnels gesteckt – er ist das derzeit aktuelle Nadelohr für Flüchtlinge in das vermeintliche gelobte Land Europa. Solange Europa für die bettelarmen Herkunftsländer ein gelobtes Land ist, und solange sich Europa wie eine Festung abkapselt, wird die "Financial Times" die Migranten von Calais als "Europas Schande" bezeichnen. Gefragt ist eine einheitliche Migrationspolitik der EU, aber davon scheinen wir noch sehr weit entfernt zu sein. Denn das vereinte Europa ist leider immer noch eine Illusion. Statt Grenzen wegzuradieren, baut Europa Grenzzäune. Die billigen Arbeitskräfte aus anderen Kontinenten nimmt Europa gern auf. Aber zugleich sieht Europa den eigenen sozialen, religiösen oder politischen Frieden gefährdet. Es ist Europas Doppelmoral.



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