Was die Sauregurkenzeit nicht alles möglich macht! Eine Woche lang ist das vermeintliche Heilwasser aus dem Brunnen in Pliska in aller Munde. Ist es nun heilig? Oder heilt es nur? Oder enthält es zu viele Nitraten und ist somit gesundheitsschädlich? Und wird es in Bulgarien endlich bergauf gehen? Sie verstehen nur Bahnhof? Hier die Erklärung.
Ende Juli erreichte uns die sensationelle Meldung, dass aus einer für immer trocken geglaubten Quelle in der alten Reichshauptstadt Pliska nach 200 Jahren wieder Wasser sprudelt. Die archäologischen Ausgrabungen in der glorreichen Hauptstadt des ersten Bulgarenreiches aus dem Ende des 7. Jh. brachten einen zwölf Meter tiefen Brunnen ans Tageslicht, der sich im Vorraum der großen Basilika in Pliska befindet. Bis zum 19. Jh. war der Brunnen eine Anlaufstelle für heil- und hoffnungssuchende Menschen, die an die Wunderkräfte dieses Wassers glaubten. Dann soll der Brunnen während der Osmanischen Herrschaft von den Türken verschüttet worden sein. 200 Jahre später quellt dort wieder Wasser, was einen angesehenen bulgarischen Geschichtsprofessor veranlasste, das Ende der jahrelangen Talfahrt Bulgariens zu verkünden. Der Historiker bezog sich dabei auf eine Prophezeiung der berühmten Wahrsagerin Wanga, in Bulgarien werde es erst dann wieder bergauf gehen, wenn Wasser aus der heiligen Quelle in Pliska sprudelt und die drei geschichtsträchtigen Kirchen in Bojana bei Sofia, in Weliko Tarnowo und eben in Pliska wiederaufgebaut sind. Es scheint, soweit zu sein. Die Bulgaren können also gelassen die Hände in den Schoß legen und einfach zusehen, wie aus Bulgarien ein Garten Eden wird.
Um Wangas Prophezeiung abzusichern, hat der zitierte Geschichtsprofessor – übrigens, ein Liebling des Ministerpräsidenten – eben diesen Ministerpräsidenten mit Wasser aus der besagten Quelle besprengt. Nach altem bulgarischen Brauch bringe die Besprengung mit Weihwasser Gesundheit. Und der Ministerpräsident soll ja gesund bleiben, um Wundertaten zu vollführen und Bulgarien in ein Paradies auf Erden zu verwandeln.
Zwei Wochen lang beschäftigt nun dieses Thema die hiesigen Medien. Zwei nachrichtenarme Wochen, mitten im Sommerloch, wenn kuriose Meldungen die Blätter füllen. Gemutmaßt wird über die Heilkraft dieses Quellwassers. Mediziner erforschten seine Qualitäten und stellten fest, der hohe Nitratgehalt habe eher schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Und Theologen sind dabei, dem Publikum zu erklären, wann ein Wasser zu Weihwasser wird – nämlich erst dann, wenn ein Priester ein Segensgebet gesprochen hat.
Und trotzdem strömen deutlich mehr Besucher als sonst in die alte bulgarische Hauptstadt Pliska, seitdem das vermeintliche Wunder passiert ist. Die Sonne brennt ihnen auf die Haut, die Hitze ist zwischen den Mauerresten der einstigen Festung nicht auszuhalten, und trotzdem tummeln sich die Touristen und fragen mal heimlich, mal ganz offen, wo denn der Brunnen mit dem heiligen Heilwasser sei. Und trinken dann davon.
Man muss schon sehr abergläubisch sein, um zu glauben, dass ein Schluck von dieser hellbräunlichen Brühe ewige Gesundheit und Wohlergehen bringt. Aber wir, Bulgaren, sind offensichtlich wirklich sehr abergläubisch – fast allen Bräuchen und Riten liegen mystische Überlieferungen zu Grunde. Und auch im Alltag klopfen wir gern auf Holz, um ja nicht den Teufel an die Wand zu malen. Ein Bürgermeister ließ sogar 50 Kilogramm Zucker auf die Straßen seiner Gemeinde verstreuen – so sollten die bösen Geister vertrieben werden, die für die zahlreichen Verkehrsunfälle mit Todesopfern verantwortlich sind.
Und während man darüber schmunzeln darf, hat es eine Sofioter Tageszeitung geschafft, die Öffentlichkeit regelrecht zu verärgern. Sie wollte nämlich das Wunderwasser aus Pliska in Fläschchen abfüllen und samt der Samstagausgabe am Mariä Himmelfahrstag verkaufen. Und somit den Aberglauben der Leser am großen Kirchenfest ausnutzen. Das wurde auch dem Ministerpräsidenten zu viel – auf der regulären Regierungssitzung am Mittwoch ordnete er an, mit dem Kommerz rund um das Wasser in Pliska aufzuhören. Na ja, er hat es ja leicht – schließlich wurde er mit dem Wasser besprengt und darf sich nun über ewige Gesundheit freuen... Die normalsterblichen abergläubigen Bürger gehen leer aus.
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