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Volksbefragungen in Bulgarien: In Mode oder öde?

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Foto: BGNES

Erst 43 Jahre nach der ersten bulgarischen Verfassung von 1879 fand es die Regierung der Bauernunion von Alexander Stambolijski für notwendig, in einer Frage das Volk entscheiden zu lassen. Die Frage beim Referendum 1922 bezog sich auf die Katastrophe nach dem Balkankrieg und nach dem Ersten Weltkrieg und lautete, sollen die Minister, die für diesen Krach Bulgariens verantwortlich sind, vors Gericht gebracht werden.

Selbst das erste Referendum in Bulgarien von 1922 ruhte auf einem Kompromiss“, kommentiert Prof. Milko Palangurski von der Universität in Weliko Tarnowo. „Das Problem besteht darin, dass die Verfassung für die verantwortlichen Minister ein Gerichtsprozess vorsieht, worauf aber aus rein politischen Gründen verzichtet wurde. Einen politisierten Beigeschmack bekam auch die zweite Volksbefragung 1946, als die Bürgerinnen und Bürger im nunmehr sozialistischen Bulgarien entscheiden mussten, ob sie in einer Monarchie oder in einer Republik leben möchten. An diesen beiden Volksbefragungen beteiligten sich sehr viele Wahlberechtigte, den Rekord hält aber das dritte Referendum in Bulgarien seit der Unabhängigkeit des Landes. 1971 sollte das neue Grundgesetz vom Volk anerkannt werden, und das Volk tat es zu 99,92 Prozent“, erzählt Prof. Palangurski.

Die relativ kurze Geschichte der Volksbefragungen in Bulgarien wurde erst 2013 fortgesetzt, obwohl es in den stürmischen Nachwendejahren durchaus Grund genug gab, wichtige Entscheidungen für die Zukunft des Landes in einem Referendum zu fällen. Vor zwei Jahren wurden die Bürger aufgefordert, zu entscheiden, ob die Atomkraft in Bulgarien weiter entwickelt werden soll, sprich ob neue Reaktorblöcke gebaut werden sollen. Und am vergangenen Sonntag stand die Online-Wahl zur Debatte. Die Frage über die Einführung dieser neuen Option haben 35 Prozent beantwortet und sich entschieden dafür ausgesprochen – laut jüngsten Angaben der Zentralen Wahlkommission haben 72,57 Prozent der teilgenommenen Bürger mit „ja“ geantwortet. Da die Wahlbeteiligung beim Referendum jedoch niedriger ausgefallen ist, als bei den letzten Parlamentswahlen, sieht das Gesetz vor, dass die Einführung der Online-Stimmabgabe vom Parlament entschieden werden muss.

Das E-Voting betrifft in erster Linie die Auslandsbulgaren, die sich so an Parlamentswahlen und Volksbefragungen aktiver beteiligen können. Deshalb ist verwunderlich, dass die Wahlbeteiligung unter ihnen am Sonntag relativ niedrig ausgefallen ist. Sie hatten die Möglichkeit, in 45 Ländern zu wählen.

Ein Referendum in der bulgarischen Geschichte wird oft vergessen, obwohl es Licht in eine umstrittene historische Frage wirft. 1874, als Bulgarien noch unter osmanischer Herrschaft war, wurde es der Bevölkerung in Mazedonien erlaubt, in einer Volksbefragung zu entscheiden, ob sie zur Bulgarischen orthodoxen Kirche gehören möchte. Mehr als zwei Drittel haben sich dafür ausgesprochen, was damals niemanden überrascht hatte – schließlich lebten in diesem Teil der Balkanhalbinsel Bulgaren. Die Ergebnisse dieses Referendums sind wichtig, da eben die Grenzen des Einflussgebiets der Bulgarischen orthodoxen Kirche als Ausgangspunkt für die Grenzziehung nach der Befreiung Bulgariens von der türkischen Herrschaft 1878 galten.

Deutsche Fassung: Vessela Vladkova



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