Die Justizreform war eigentlich ein Schwerpunkt der Regierungspartner aus dem Reformblock. Zumal Bulgarien und Rumänien in den Bereichen Justiz und Inneres nach wie vor von Brüssel beobachtet werden. Im Januar war die nachgebesserte Strategie zur Justizreform mit großer Mehrheit verabschiedet worden. Der Grundstein dafür sollte mit einer Verfassungsänderung gelegt werden. Im Sommer erhielten die nötigen Grundgesetzänderungen jedoch nicht die erforderlichen Stimmen. Man einigte sich auf einen s.g. “historischen Kompromiss”. Dieser beinhaltete folgende Punkte: Teilung des Obersten Justizrates in zwei Kollegien, offene Wahl für die Richter- und Staatsanwaltquoten und mehr Befugnisse für die Inspektion. Im September wurden diese Grundgesetzänderungen mit der beeindruckenden Mehrheit von 184 Angeordneten in erster Lesung gebilligt. Und so dachte man, dass es bei diesem Tempo bleibt.
Am Mittwoch wurde in zweiter Lesung die Teilung des Obersten Justizrates in ein Richter - und ein Staatsanwaltskollegium gebilligt. Dem Richterkollegium gehören 14 Mitglieder an, einschließlich 12 Richter sowie die Vorsitzenden des Obersten Verwaltungsgerichts und des Obersten Kassationsgerichts. Sechs Mitglieder sollen direkt von den Richtern gewählt werden, sechs vom Parlament. Dem Staatsanwaltskollegium sollen elf Mitglieder angehören, von denen sechs von den Staatsanwälten und fünf vom Parlament gewählt werden. 204 Abgeordnete stimmten für diesen Vorschlag des Regierungspartners ABV und sagten damit dem "historischen Kompromiss" vom Sommer ade. Im Sommer hatten nämlich 180 Abgeordnete für eine Aufteilung des Obersten Justizrates in gleiche Quoten gestimmt. Sechs Professionalisten – fünf Staatsanwälte und ein Ermittler plus sechs vom Parlament gewählte Mitglieder. Am Mittwoch war es bei den sechs Professionalisten geblieben, die Auserwählten des Parlaments sind jedoch auf fünf geschrumpft. Auf diese Weise erhielt die Staatsanwaltschaft die uneingeschränkte Kontrolle über ihre Entscheidungen. Durch die kleinere politische Quote sollte der "historische Kompromiss" eigentlich die Unabhängigkeit der Richter gewährleisten.
“Im Kollegium der Staatsanwälte haben der Generalstaatsanwalt und die ihm unterstehenden Vertreter der Staatsanwaltschaft und Ermittlung die Mehrheit. Damit wird ein Kollegium geschaffen, in dem der “Oberankläger des Staates” die entscheidende Stimme hat", meint Iwanka Iwanowa, Chefin des Rechtsprogramms von “Open Society” und weiter:
“Die Unabhängigkeit der Richter hat einen ganz anderen Stellenwert als die institutionelle Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft. Sie bezieht sich in hohem Maße auf das Grundverständnis, ob Bulgarien ein Rechtsstaat ist oder nicht. Weltweit gibt es viele demokratische Rechtsstaaten, in denen die Staatsanwaltschaft der Exekutive unterstellt ist. Es gibt jedoch keinen Staat, in dem das Gericht von irgendjemandem abhängig ist. Zudem empfiehlt der Konsultativrat der Europäischen Richter, ein solches Organ müsse sich vorwiegend aus Richtern zusammensetzen, die von ihrer Gilde gewählt wurden.”
Die am Mittwoch verabschiedeten Grundgesetzänderungen haben nichts mit der Justizreform zu tun. Auch werden sie die Justiz von der Symbiose wirtschaftlicher und politischer Interessen nicht unabhängiger machen. Reell gesehen wird der Oberste Justizrat bis Ende seiner Amtzeit 2017 in der gleichen Besetzung bleiben.
Nachdem am Mittwoch der Staatsanwaltschaft die Trumpfkarte zugeschoben wurde, gab Justizminister Hristo Iwanow auf der Parlamentstribüne seinen Rücktritt bekannt.
“Mit dieser Abstimmung wurde ein weiterer symbolischer Schritt getan, der die Zweifel darüber verstärkt, dass in Bulgarien zunehmend vor der Hoheit des Generalstaatsanwaltes die Rede ist. Deswegen gebe ich mit Erleichterung meinen Rücktritt als Justizminister bekannt”, so Hristo Iwanow.
Kurz darauf erklärte der Co-Chef des Reformblocks Radan Kanew, er wechsle zur Opposition über. Auch kündigte er für einen späteren Zeitpunkt Stellungnahmen der Türkenpartei DPS und der anderen Reformblock-Parteien an. Bisher habe er die Regierung einzig und allein im Namen einer erfolgreichen Justizreform unterstützt, meinte Radan Kanew und weiter:
“Von jetzt an kann die Regierung von Herrn Borisow nicht mehr auf meine Abgeordnetenstimme zählen. GERB hat mein Vertrauen verspielt.”
Die Abstimmung der Grundgesetzänderungen sorgte für ein Beben in den oberen Etagen der Regierung und Parteien. Änderungen, die die bulgarische Politik und unser Leben lange Zeit bestimmen werden.
“Der Wechsel von Radan Kanew in die Opposition bedeutet nicht, dass der Reformblock der Regierung das Vertrauen entzieht, kommentiert der Politologe Dimitar Ganew. "Allerdings könnte er in den kommenden Tagen zu einer Spaltung des Reformblocks führen. Die Minister aus der Partei von Vizepremier Meglena Kunewa und Boschidar Lukarski von den Demokraten könnten die Ehre des Reformblocks in der Regierungskoalition hochhalten. Selbst wenn der gesamte Reformblock in die Opposition wechselt, ist die Regierung nicht gefährdet.”
Übersetzung: Christine Christov
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