2015 war nicht nur für Bulgarien ein schweres Jahr. Es hatte viele Überraschungen parat und bestürzte mit Kriegen und Terror, Flüchtlingsdramen und Protesten...
Die Krise im Nahen Osten und der Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ vertieften sich und schlugen auch in Europa Wellen.
„Bulgarien hat bis heute eine zureichende Zahl an Flüchtlingen aufgenommen und registriert. Wenn man sie zu unserem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung ins Verhältnis setzt, haben wir unsere Verpflichtungen größtenteils erfüllt“, sagte der bulgarische Außenminister Daniel Mitow in seiner Rechenschaftslegung und betonte: „Wir sind nicht gegen das Quotenprinzip, wenn es darum geht, eine Reihe von Staaten zu entlasten; wir meinen nur, dass das nicht das Problem lösen wird.“
Das Thema „Migration“ war das ganze Jahr in aller Munde – sowohl der Regierung, als der Opposition. Auch Staatspräsident Plewneliew, der am 10. November eine Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrates einberufen hatte, äußerte sich dazu:
„Für Bulgarien besteht das Risiko, dass der Migrationsdruck weiter anhält oder sogar größer wird. Europaweit steigt die Gefahr vor Terroranschlägen. Europäer beteiligen sich an den Kampfhandlungen auf der Seite der Organisation „Islamischer Staat“ und anderer Terrorgruppierungen. Unsere Hauptpriorität ist der Schutz der Staatsgrenze.“
Nach den Anschlägen in Paris wurde das Thema „Sicherheit“ aktueller denn je. Bulgarien wurde vom britischen Premier David Cameron besucht, der mit seinem bulgarischen Amtskollegen Bojko Borissow die Reformen innerhalb der Europäischen Union, den Kampf gegen den Terrorismus und die Flüchtlingskrise besprach. Beide besuchten einen Abschnitt der bulgarisch-türkischen Grenze und zeigten sich zufrieden mit den eingeleiteten Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der EU-Außengrenze.
An der türkisch-syrischen Grenze ereignete sich wiederum ein Vorfall, der die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau aus den Angeln hob – türkische Militärs schossen ein russisches Militärflugzeug ab, das im Einsatz gegen die Organisation „Islamischer Staat“ den türkischen Luftraum verletzte. Im Bulgarien bezog die Türkenpartei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ sofort Stellung und stellte sich hinter Ankara. Parteivorsitzender Mestan verlas im Parlament eine feurige Erklärung:
„Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass in den letzten Monaten die russischen Flugstreitkräfte mehrmals den Luftraum der Türkei verletzt haben. Es ist eine Verletzung nicht nur des Luftraums, sondern auch der Souveränität eines NATO-Mitgliedslandes und damit des Nordatlantischen Bündnisses.“
Die Erklärung kostete Lütfi Mestan den Kopf, denn der Ehernvorsitzende der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“, Ahmed Dogan, der immer dann als Drahtzieher in Erscheinung tritt, wenn ihm etwas in der Partei nicht gefällt, berief eine Sondersitzung der Parteiführung ein, die Mestan einfach seines Postens enthob. Er habe laut Dogan die Partei in das Gravitationsfeld des Erdoğan-Regimes gesteuert. Dogan hob auch den Zeigefinger und warnte: „Es wird jedem so gehen, der sich den nationalen Interessen Bulgariens entgegenstellt!“
Mestan rechtfertigte sich mit einem Zitat aus „Don Quijote“: „'Die Freiheit, Sancho, ist eine der köstlichsten Gaben... ' Ich brache mich für nichts zu schämen! Aus mir kann man nur schwerlich einen Verräter machen!“
Mestan und weitere drei Abgeordnete verließen die Fraktion der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ und erklärten sich für unabhängige Abgeordnete. Ob das der Keim einer neuen Partei ist, wird sich demnächst herausstellen...
Aber nicht nur die große Politik schlug in Bulgarien Wellen. Intern kamen viele Probleme an Tageslicht und als dem einen oder anderen der Kragen platzte, kam es zu Protesten. Der bedeutendste darunter war der der Polizei. Wie häufig ging es hierbei um Geld und als sich der Finanzminister Wladislaw Goranow bereit erklärte, die angekündigten Sparmaßnahmen wieder in der Schublade verschwinden zu lassen und sogar mehr Geld für Inneres und Verteidigung bereitzustellen, beruhigten sich schnell die Gemüter. Reformen in beiden Schlüsselbreichen der Sicherheit wurden erneut als Hausaufgabe gestellt. Innenminister Wutschkow schien die Reformen auf die leichte Schulter genommen zu haben und reichte seinen Rücktritt ein. Seine Nachfolge trat Vizepremierministerin Rumjana Batschwarowa an, die, wie es von ihr nicht anders erwartet wurde, Reformen versprach.
2015 kann als das Jahr der Reformen bezeichnet werden – Reformen im Justizsystem, in der Gesundheitsfürsorge, im Bereich „Sicherheit“, in der Rentenversicherung... Im Jahr der Kommunalwahlen wollte jede der Parteien, die sich in irgend einer Form an der Leitung des Landes beteiligt, einen Erfolg abbuchen. Der Reformwillen ist aber die ein Seite – eine ganz andere Seite sind die erfolgreichen Reformen. Und zu welchem Preis, fragte erneut die Öffentlichkeit. Im Endeffekt kam es zu Streitigkeiten unter den Regierungspartnern. Hier witterte die in die Opposition gedrängte Türkenpartei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ ihre Chance und mit zugesagter Unterstützung für die eine oder andere Idee der regierenden GERB-Partei machte sie sich Parteichef und Premierminister Bojko Borissow gefügig.
2015 fanden in Bulgarien Kommunalwahlen statt, die zu Veränderungen führten. Die regierende GERB-Partei schaffte es, die Bürgermeistersitze in 21 der 27 Bezirke mit eigenen Leuten zu besetzen. Zum ersten Mal wurde die Bulgarische Sozialistische Partei völlig aus dem Rennen geworfen – sie konnte in keiner einzigen Bezirksstadt einen Bürgermeisterposten ergattern.
Parallel zu den Kommunalwahlen fand auch ein Referendum statt. Von den vorgeschlagenen Fragen wurden die wohl wichtigsten von vornherein gestrichen und es blieb einzig die nach der elektronischen Stimmabgabe. Das Interesse an der Volksbefragung kühlte stark ab und obwohl sich die meisten Bürger für die Möglichkeit einer Stimmabgabe per Internet aussprachen, fiel die Beteiligung zu schwach aus, um Gesetzeskraft zu erlangen. Und so wird das Parlament über diese Frage lediglich debattieren müssen.
Für Kontroversen sorgten hingegen die Verfassungsänderungen, die die Organisation des Obersten Justizrates betreffen. Er wurde in ein Richter- und ein Staatsanwaltskollegium geteilt. Als Zankapfel erwies sich die Verteilung der Quoten. Die Aufteilung in gleichgroße Quoten wurde fallen gelassen. Im Kollegium der Staatsanwälte haben nunmehr der Generalstaatsanwalt und die ihm unterstehenden Vertreter der Staatsanwaltschaft und Ermittlung die Mehrheit. Damit wird ein Kollegium geschaffen, in dem der “Oberankläger des Staates” die entscheidende Stimme hat. Viele Politiker wollen sich damit nicht abfinden, darunter Justizminister Christo Iwanow:
„Mit dieser Abstimmung wurde ein weiterer symbolischer Schritt getan, der die Zweifel darüber verstärkt, dass in Bulgarien zunehmend von der Hoheit des Generalstaatsanwaltes die Rede ist. Deswegen gebe ich mit Erleichterung meinen Rücktritt als Justizminister bekannt”, so Christo Iwanow.
Erneut kam es zu Straßenprotesten und zu heftigen Reaktionen. „Wir sagen „Nein!“ zur Angst und werden es nicht zulassen, dass wir zu Feiglingen abgestempelt werden. Es reicht!“ sagte der Vorsitzende des Obersten Kassationsgerichts, Losan Panow.
Doch die Zahl jener, die sich freiwillig von der Macht trennen wollen, erwies sich als verschwindend klein. Der Reformblock blieb in der Regierungskoalition. Einzig die „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ gingen zur Opposition über:
„Der Reformblock bestätigt seine Teilnahme an der Regierungskoalition. Die „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ halten ihrerseits an ihrer Position fest. Wir unsererseits betonen unser Vertrauen an den Ministern des Reformblocks“, sagte Najden Zelenogorski vom Reformblock in einer Sondererklärung.
„Nur ein Parteitag der „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ kann über ein Verlassen des Reformblocks entscheiden“, versicherte wiederum der Vorsitzende der „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ Radan Kanew, dessen Partei letztendlich im Reformblock verblieb.
Die Krise erwies sich als „Sturm im Wasserglas“ und erzeugte lediglich das neueste bulgarische Phänomen: eine Opposition an der Macht.
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
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