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Politologen verheißen Stärkung des dominierenden Einparteienmodells

Boris Popiwanow und Georgi Harisanow
Foto: Archiv

Ein schwieriges Jahr ist zu Ende gegangen, das bis zuletzt für Überraschungen sorgte – Flüchtlinge, Wahlen, Referendum, Proteste. Dazu lassen wir die beiden Politologen Dr. Boris Popiwanow von der Sofioter Kliment-Ohridski-Universität und Georgi Harisanow vom Institut für liberale Politiken zu Wort kommen.

Nach der harschen Kritik des Ehrenvorsitzenden der Türkenpartei DPS Ahmed Dogan wurde Parteichef Lütvi Mestan am 24. Dezember all seiner Parteiämter enthoben. Mestan und vier weitere Abgeordnete haben die DPS-Fraktion verlassen und agieren nunmehr als parteilose Volksvertreter. Auch wenn sich Mestan bis dato in Stillschweigen hüllt, geht man davon aus, dass er eine neue Partei gründen wird. Damit würde er es dem DPS-Abtrünnigen Kasim Dal gleichtun, der viele Jahre lang die rechte Hand des früheren Parteichefs Dogan gewesen war.

"Seit anderthalb Jahren gibt sich Herr Mestan betont liberal", kommentiert der Politologe Georgi Harisanow. "Die Wählerschaft der DPS-Partei ist jedoch eher im konservativen Spektrum angesiedelt und dort gibt es definitiv eine Nische. Die Art und Weise, wie Mestan seiner Posten enthoben wurde, zeigt, dass die Hauptakteure, besonders die Leute um Dogan, alles drauf und dran setzen werden, um die Gründung einer neuen politischen Formation zu verhindern. Diese Art des Vorgehens mit Mestan soll abschreckend wirken."

Die persönliche Einladung von Mestan für den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu und die gezeigte Anteilnahme von Premierminister Ahmet Davutoglu mit dem abgesetzten DPS-Parteichef Mestan lassen vermuten, dass ein künftiges politisches Projekt mit der soliden Unterstützung Ankaras rechnen könnte.

"Meiner Ansicht nach ist der Türkei bewusst geworden, dass sie zu weit gegangen ist. Deswegen blieb der türkische Außenminister auch dem Meeting am 26. Dezember fern, zu welchem er von Mestan eingeladen worden war", kommentiert der Politologe Boris Popiwanow. "Von jetzt ab wird man sich wohl an eine gemäßigtere Position im Geiste der engen Beziehungen halten, die Bulgarien und die Türkei seit mehreren Jahren pflegen. Unter dem Druck, dem Mestan ausgesetzt ist, ist es sehr schwer, eine neue politische Formation auf die Beine zu stellen. Aber es ist kein Ding der Unmöglichkeit. Ihr Platz wäre dann im Reformblock, da man hier bereits Erfahrungen mit Partnern dieses Charakters hat, beispielsweise mit der Partei von Kasim Dal."

2016 finden in Bulgarien Präsidentschaftswahlen statt. Was erwartet uns im neuen politischen Jahr?

"2016 wird das Modell einer dominierenden Partei weiter gestärkt", prognostiziert Georgi Harisanow. "Der erwartet heißumkämpfte Parteitag der Sozialisten im Frühjahr, die Ereignisse in der Türkenpartei DPS und im Reformblock als auch die Spaltung der Patriotischen Front zeigen, dass die einzelnen Formationen mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen haben, was die Rolle der dominierenden GERB-Partei weiter stärken wird. So lange man sich nicht gemeinsam gegen die GERB-Partei besinnt, die mit 84 Sitzen die einfache Mehrheit verfehlt hat, wird diese Partei weiter dominieren. Dieser Trend wird sich auch bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen zeigen."

"Keine Parlamentsfraktion verfügt über die nötige Kondition, was zum Jahresende deutlich sichtbar wurde", meint der Politologe Boris Popiwanow. "Sich gegen den Starken es Tages zu vereinen, ist sehr schwierig, vor allem dann, wenn die Parteien innerlich zerrissen sind und es auch zwischen den politischen Formationen akute Kontroversen darüber gibt, wer die `väterliche Schar` anführen soll. Meiner Ansicht nach stellen sich hier zwei Fragen. Erstens, inwieweit sich die GERB-Partei zu vorgezogenen Parlamentswahlen hinreißen lassen würde, um ihre Präsenz im Plenarsaal aufzustocken. Und zweitens, inwieweit 2016 neue Akteure auf der politischen Bühne erscheinen und das Wasser trüben werden."

Das Jahr 2015 sollte eigentlich im Zeichen der Justiz- und Gesundheitsreform stehen.

"Die Rentenreform ist durch, obwohl man das nicht als Rentenreform bezeichnen kann", erklärt Georgie Harisanow. "Was die Gesundheitsreform betrifft, sind mir zwar die von Minister Moskow angestrebten Ziele klar, jedoch habe ich keine Ahnung, wie genau er diese erreichen will. Auch ist für mich rätselhaft, warum ein konservativer Politiker so arg gegen die Entmonopolisierung der gesetzlichen Krankenkasse vorgeht und nichts gegen die Preispolitik für Medikamente unternimmt. Es ist für niemanden eine Überraschung, dass der Reformblock mit seinen 20 Abgeordneten wohl kaum in der Lage ist, den gesamten Staat zu reformieren."

Im Reformblock zeichneten sich zwei Probleme ab, meint Boris Popiwanow. "Die eine These ist, dass der Reformblock im Gegensatz zum Seniorpartner GERB über ein sehr hohes Expertenpotential verfügt. Dieses Potential ging jedoch im chaotischen Vorgehen des Vorjahres unter. Und zweitens müssen jegliche Veränderungen mit den Sozial- und anderen Partnern abgestimmt werden. Hier sind der Reformblock und seine Minister sehr arrogant vorgegangen, ohne Dialog und mit dem Kopf durch die Wand. Genau das ist jedoch schief gegangen. In diesem Jahr wird man da wohl den Weg des geringsten Widerstandes suchen."

Übersetzung: Christine Christov



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