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Der EU-Fortschrittsbericht – nichts Neues unter der Sonne

Foto: Archiv

Banal, ja regelrecht lästig. Seit dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 müssen wir uns immer wieder die gleiche Leier anhören: „Reformiert die Justiz, Schluss mit Korruption und organisierter Kriminalität!“. Gestern hat die Europäische Kommission offiziell ihren jüngsten Bericht im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrensvorgelegt. Darin nimmt sie die Fortschritte Bulgariens bei der Reformierung der Justiz und der Bekämpfung von Korruption im letzten Jahr unter die Lupe.

Die Bewertungen und Empfehlungen waren voraussagbar und die Statements können wir bereits im Traume aufsagen: das organisierte Verbrechen floriert, genau wie Machenschaften, Kleptokratie und Korruption, auch in den oberen Machtetagen. Was die Justiz angeht – nach einigen Turbulenzen und missglückten Reformversuchen in den letzten Monaten ist es wieder still im Sumpf. Zumindest momentan. Wie es bei uns so schön heißt: „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter“.

Nicht dass es in Italien, Spanien, Großbritannien und anderen EU-Ländern keine Korruption und organisierte Kriminalität gäbe, doch sind sie dort in einem annehmbaren Rahmen. Zudem passiert es ab und zu, dass ein Minister, Abgeordneter, Magistrat oder sonstiger Führungsvertreter ins Gefängnis kommt oder seinen Rücktritt einreicht. Im Unterschied zu Bulgarien.

Doch werfen wir einen Blick in das Dokument, das in der virtuosen Diplomatensprache Brüssels verfasst ist. Darin verweist die Europäische Kommission auf persistierende Probleme im bulgarischen Justizsystem, auf ein hohes Korruptionslevel und auf das Unvermögen der bulgarischen Institutionen, die Herausforderungen zu meistern. Die schleppenden Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung in den oberen Machtetagen und bei Verfahren gegen die organisierte Kriminalität untergraben das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz, heißt es des weiteren im Fortschrittsbericht. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermanns  hat zwar eingeräumt, dass Bulgarien in den letzten zwölf Monaten einige wichtige Schritte unternommen hat, um die Reformen wieder auf die Agenda zu bringen. Nun sei es aber an der Zeit, dass den Strategien über Justizreform und Korruptionsbekämpfung auch Taten und konkrete Ergebnisse folgen.

Gewohntermaßen betrachtet das zweite Borissow-Kabinett den EU-Bericht von der optimistischen Seite aus. Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz hat Vizepremierin und Innenministerin Rumjana Batschwarowa verkündet, der Monitoringbericht der EK sei „objektiv, nicht nur weil darin die Probleme des Landes festgehalten sind, die uns allen bewusst sind und wir an Möglichkeiten für deren Beseitigung arbeiten, sondern auch was die positiven Zeichen angeht, die die Europäische Kommission in unseren bisherigen Handlungen sieht“, so Batschwarowa. Im neuen EU-Bericht würde man ihrer Deutung nach die Bekämpfung der organisierten Kriminalität weniger beanstanden als früher. Auch Vizepremier Tomislaw Dontschew wagte sich vor mit der Bemerkung, im EK-Fortschrittsbericht seien „klare Feststellungen, Kommentare, Ermunterungen und Empfehlungen an jede der einzelnen Gewalten und Institutionen enthalten“. Es bestünde ein „organisierter Widerstand gegen die Reformen“, konstatierte Dontschew und kam zu dem logischen Schluss, „es sollte auch eine organisierte Unterstützung geben“. Vizepremierin Meglena Kunewa stufte den Fortschrittsbericht ebenfalls als objektiv ein und machte das Versprechen, 2016 werde das Jahr sein, in dem die Bulgaren tatsächliche Fortschritte spüren würden. Wem sollen wir nun glauben – Brüssel oder unseren Politikern?

Ich finde keinen passenderen Abschluss als die Worte von Prof. Nikolaj Slatinski,  Experte zu Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit und Abgeordneter der Verfassungsgebenden Volksversammlung nach dem Sturz des totalitären Regimes Ende 1989: „Ich rechne nicht damit, dass die Führung dieser Tage Harakiri begehen wird. Wenn wir zwischen den Zeilen lesen wird uns klar, dass unsere Führung in diesem Fortschrittsbericht vernichtend niedergemacht wird. Wichtig dabei aber ist, was sich die Führung dabei denkt. Und die denkt, es sei nichts passiert. Sie hat einfach Glück. Mit unserem Volk...“

Übersetzung: Rossiza Radulowa



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