In den letzten Jahren setzt sich weltweit die Auffassung von Behinderungen als soziales und nicht als allein medizinisches Phänomen durch. Der Akzent wird auf die soziale Eingliederung dieser Menschen verlegt.
„Ich möchte mich zuerst bei Radio Bulgarien für das Interesse an diesem Thema bedanken“, sagt Mintscho Koralski, der der Landesagentur für Menschen mit Behinderungen vorsteht. „Dieses Thema ist allein deshalb schon so wichtig, weil es in Bulgarien knapp eine Millionen Menschen mit Behinderungen gibt. 250.000 von ihnen sind im arbeitsfähigen Alter. Das heißt, viele Landsleute sind selbst betroffen oder haben Familienmitglieder oder Freunde mit einem solchen Problem. Ich muss jedoch eingestehen, dass sich in den letzten zehn Jahren vieles zum Guten gewandt hat. 2012 hat Bulgarien die Behindertenrechtskonvention ratifiziert, die eine aktive Beteiligung dieser Menschen am sozialen und wirtschaftlichen Leben vorsieht. In einiger Hinsicht gehört Bulgarien zu den Vorreitern in Europa. Wir haben ein integriertes Informationssystem mit statistischen Angaben über alle Menschen mit Behinderungen in Bulgarien geschaffen. Außerdem wurde eine langfristige Strategie über deren Beschäftigung, Integration und ihrem Beitrag zur Arbeitswelt und zum Arbeitsmarkt ausgearbeitet."
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Ausbildung und Qualifikation behinderter Menschen. Die politischen Konzepte, die sie betreffen, sollten bereits im frühesten Kindesalter ansetzen. Denn „andere“ Kinder werden bereits im Kindergarten, später in der Schule und an den Hochschulen von ihren Altersgenossen getrennt und das ist der Grund für die Stigmatisierung von Menschen, die anders sind als wir. Was ihre Beschäftigung angeht, sollte durch angemessene Vorkehrungen und geeignete Änderungen und Anpassungen ein behindertengerechtes Umfeld geschaffen werden. Im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird diese Maßnahme als „universelles Design“ bezeichnet. Und noch ein wichtiger Schritt wurde getan – Bulgarien hat als erstes EU-Land eine Messe für spezialisierte Werkstätten und Unternehmen organisiert, in denen behinderte Menschen arbeiten. In diesem Jahr findet die 4. Ausgabe dieser Messe vor, die zeigt, dass die von behinderten Menschen hergestellten Waren den anderen in nichts nachstehen.
Eines der besten Programme der Landesagentur für Menschen mit Behinderungen ist jenes, das sie unterstützt, eigenständig zu werden, indem sie ihnen ein Startkapital von 10.000 Euro zur Verfügung stellt, erklärte uns Mintscho Koralski. Dieses Programm hat eine Erfolgsquote von 95 Prozent. Manche Kleinunternehmen wachsen zum mittleren Unternehmen an und schaffen weitere Arbeitsplätze für behinderte Menschen. 2015 haben 34 Projekte eine Finanzierung von insgesamt 300.000 Euro erhalten, die Kandidaten waren 110 an der Zahl. Ab März 2016 startet die Landesagentur Programme für die Beschäftigung behinderter Menschen im Wert von 1,85 Millionen Euro. Auf die Frage, ob man Behinderte mittlerweile besser behandelt, sagte uns Mintscho Koralski, der selbst seit zehn Jahren im Rollstuhl sitzt:
„Oft, wenn ich eine Idee zugunsten behinderter Menschen unterbreite, versuche ich zu erklären, dass sie sich bereits an die Lage angepasst haben. Bedauerlichweise kommen jedes Jahr 30.000 bis 35.000 neue Menschen in die Gruppe der Menschen mit Behinderungen. Man weiß nie, was einem widerfahren kann. Deshalb sollten wir uns auf die Behörden verlassen können. Die Politik für Menschen mit Behinderungen gilt eigentlich allen Bürgern. Je schneller uns das bewusst wird, desto schneller bauen wir eine solidarische Gesellschaft auf, was ja auch unserer Verfassung zugrunde liegt", sagte abschließend der Vorsitzende des Landesagentur für Menschen mit Behinderungen Mintscho Koralski.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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