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Migrantenhandel – EU und Ankara schaffen neue Wirtschaftsnische

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Foto: EPA / BGNES

Das große Feilschen um die Flüchtlinge ist letzten Freitag zu Ende gegangen. Brüssel und Ankara haben einen Flüchtlingsdeal abgeschlossen, den Beobachter als zynisch einstufen. Vielleicht nicht zu unrecht. Eins steht aber fest – seit dem 18. März ist die EU nicht mehr die, die es bisher war.

Worauf haben sich EU-Ratspräsident Donald Tusk und der türkische Premier Ahmet Davutoğlu geeinigt? An erster Stelle kann Griechenland ab gestern alle auf illegalen Wegen auf ihre Inseln ankommenden Flüchtlinge wieder in die Türkei zurückschicken. Für jeden syrischen Flüchtling, den Ankara zurücknimmt, kann ein anderer Syrer aus dem Land auf legalem Wege in die EU kommen. Laut Abschlusserklärung bietet die EU 72.000 Plätze zur legalen Aufnahme von Syrern aus der Türkei an. An zweiter Stelle will die EU der Türkei bis 2018 weitere drei Milliarden Euro an Hilfe zur Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen, sobald die ersten drei Milliarden Euro, die bereits vereinbart waren, aufgebraucht sind. An dritter Stelle soll bereits im April das Kapitel 33 der EU-Beitrittsverhandlungen eröffnet werden, in dem es um Haushaltsfragen geht und bis Ende Juni will die EU die Visapflicht für Türken aufheben.

Ankara ist sich wohl bewusst, dass sie sich mit ihrer derzeitigen Innenpolitik immer weiter von den EU-Beitrittskriterien entfernt. Die Eröffnung eines Verhandlungskapitels, nachdem Frankreich Veto dagegen eingelegt hat, hat nichts zu bedeuten. Ankara weiß auch, dass es für die Aufhebung der Visapflicht für türkische Staatsbürger 35 Kriterien erfüllen muss und das setzt viel Zeit und guten Willen voraus. Die Rücknahme illegaler Migranten von den griechischen Inseln ist für die Türkei kein Problem. Mit einem binnen weniger Stunden ausgestellten Dokument wird aus jedem illegalen schnell ein legaler Migrant, der offiziell in die EU geschickt werden kann.

Das wichtigste, worum es eigentlich ging, ist Geld. Ankara konnte seinen Willen durchsetzen und wird von den Steuerzahlern in der EU für die 2,7 Millionen in Flüchtlingslagern auf türkischem Territorium untergebrachten Menschen insgesamt sechs Milliarden Euro erhalten. Brüssel sollte sich aber keine Illusionen darüber machen, dass es mit der Zahlung dieser sechs Milliarden getan wäre. Besagte Flüchtlingslager haben sich bereits zum „Produktionsmittel“ etabliert. Die dort hergestellte „Ware“ – sprich die Bedrohung, dass man die Migranten in Richtung Westeuropa weiter ziehen lässt – muss schließlich auch in Zukunft einen guten Absatz finden können.

Während der zweiten Verhandlungsrunde zwischen der EU und der Türkei in Brüssel wurde Bulgarien von Ministerpräsident Bojko Borissow vertreten. Nach dem ersten Flüchtlingsgipfel am 7. März hat Borissow ein Schreiben an Brüssel gerichtet, in dem er darauf besteht, dass illegale Migranten nicht nur von den griechischen Inseln, sondern auch von der bulgarisch-türkischen Grenze wieder in die Türkei zurückgeschickt werden sollten. Diese Forderung wurde de facto nicht in das Abkommen zwischen der EU und der Türkei mit aufgenommen, doch hat der bulgarische Ministerpräsident kein Veto dagegen eingelegt. Zur Schlichtung der Gemüter wurde vereinbart, dass Ankara nicht die Entstehung neuer Migrationsrouten nach Bulgarien zulassen werde. Nach dem Händedruck zwischen Tusk und Davutoglu hat Borissow das Treffen verlassen, ohne irgendwelche Statements vor Journalisten abzugeben.

Im Vergleich zu den Geldern in Milliardenhöhe erhält  Sofia die eher bescheidenen 5,9 Millionen Euro. Diese Summe könnte aber in den kommenden ein-zwei Jahren auf das Dreifache ansteigen. Zudem wird Bulgarien gemäß dem Quotenprinzip 1.200 von den vereinbarten 72.000 Flüchtlingen aufnehmen. Was das Versprechen der Türkei angeht, keine Migranten an die bulgarischen Grenze zuzulassen, hat Sofia bekräftigt, dass die Armee und die Grenzpolizei weiter an der Grenze bleiben, da selbst Premier Borissow die Prozesse an der Grenze als unberechenbar bezeichnet hat.

Nach dem 18. März ist die EU fragiler und anfechtbarer geworden. Sie hat sich von Werten losgesagt, für die sie sich im Laufe langer Jahre stark gemacht hat. Brüssel war bisher moralischer Wegweiser, treibt nun aber Handel im Tempel und das auch noch mit Leuten, die grundlegende Menschenrechte im eigenen Land verletzen.

Übersetzung: Rossiza Radulowa



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