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Die Kultur des Kulturministers

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Kulturminister Weschdi Raschidow
Foto: Archiv

"Angst macht mir nicht der Minister für Kultur, sondern die Kultur des Ministers." Dieses Wortspiel des scharfsinnigen bulgarischen Schriftstellers Radoj Ralin stammt noch aus den Jahren des entwickelten Sozialismus. Leider hat er heute an Aktualität nichts eingebüßt. Denn der aktuelle bulgarische Kulturminister Weschdi Raschidow hat sich unlängst etwas erlaubt, was nur den Vorwende-Parteibonzen zu passen schien.

Im Frühstücksfernsehen des öffentlich-rechtlichen BNT hatten Intellektuelle die Gesetzesvorlage über das Kulturerbe kritisiert, da demnach nicht mehr das Kulturministerium, sondern die Kommunalverwaltungen in Fragen des Denkmalschutzes das letzte Wort bekommen sollen. Sie befürchten, dass es dadurch leichter wird, viele wertvolle Gebäude statt renoviert, abgerissen werden, um auf den in der Regel attraktiven Grundstücken zu bauen. Auf die scharfe Kritik des Gesetzentwurfes hatte der Kulturminister, dessen Werk die besagte Gesetzesvorlage ist, schriftlich reagiert und einen Skandal ausgelöst. In seinem Brief an den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ließ er den Moderator der Sendung wissen, es sei ihm anzuraten, mit seiner Wortwahl sorgsam umzugehen, denn schließlich zahle der Staat sein Gehalt. Und weiter heißt es im Brief: "Seit geraumer Zeit lässt der Moderator in seiner Sendung zu, dass seine ausgewählten Studiogäste den Staat durch den Dreck ziehen", Zitatende.

Der Minister ist also der Staat – so mittelalterlich scheint Weschdi Raschidow zu denken, der 64jährige Bildhauer aus sozialistischen Zeiten. Dabei sollten wir uns von den alten Denkmustern längst verabschiedet haben. In der Tat wandten sich an die 1000 Intellektuelle, Kulturschaffende und Journalisten in einem offenen Brief an Ministerpräsident Borissow und forderten den Rücktritt des Kulturministers. Sie werfen ihm "unverhüllten Druck" auf die freie Meinungsäußerung vor.

Doch, die viel weiter verbreitete Reaktion der bulgarischen Presse auf die offenkundige Androhung stimmt nachdenklich. Tagelang veröffentlichten die Boulevardblätter – seriöse Tageszeitungen sind in Bulgarien leider Rarität – in Interviews und Berichten lobende Worte an den Minister, wie sehr er zur bulgarischen Kultur beigetragen habe. Neue Museen seien eröffnet, alte archäologischen Stätte wieder finanziert, die Theaterhäuser seien wieder voll. Auch wenn anzuzweifeln ist, dass all dies ein Verdienst des Ministers ist, trägt es nichts zur Sache bei, dass sich ein Regierungsmitglied erlaubt, die freie Meinungsäußerung in Frage zu stellen. Stattdessen waren Dutzende Berichte über dankbare Showmaster und Schauspieler zu lesen, die nur dank Weschdi Raschidow kraft seines Amtes als Kulturminister die große Bühne betreten haben. Er sei der erste Nachwende-Munister für Kultur, der archäologische Ausgrabungen, Kinofilme und Theaterkunst unterstützt habe. Vom eigentlichen Skandal – keine Rede! Und der Skandal drückt sich in der Androhung eines Journalisten aus, dazu noch eines öffentlich-rechtlichen Senders. Dieser Sender übrigens machte keine Ausnahme – in einer offiziellen Stellungnahme nahm die Intendanz ihren Moderator nicht etwa in Schutz, sondern räumte ein, er habe bei der Wahl der Studiogäste nicht gerade professionell gehandelt.

Traurig nur, dass nicht einmal die Medien eine dermaßen grobe Einmischung verurteilen und dabei geschlossen auftreten. Sie entschieden sich gegen die freie Meinungsäußerung, gegen die Medienfreiheit, die das höchste Gut in unserem Handwerk ist. Leider ist es in Bulgarien seit vielen Jahren so, dass das Abrutschen der hiesigen Medien im Ranking von "Reporter ohne Grenzen" mit einem Schulterzucken hingenommen wird. Derzeit liegt Bulgarien auf Platz 113 unter 178 Ländern der Welt in Sachen Medienfreiheit. Tendenz sinkend.



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