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Wir erinnern uns an die Vergangenheit, aber leben nicht darin

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Am 21. September hat man auf dem Gipfel Kajmakčalan mit militärischen Ehren den 100. Jahrestag einer der epischsten Schlachten in der Geschichte der bulgarischen Armee begangen.
Foto: BTA

"Wir erinnern uns an die Vergangenheit, aber leben nicht darin. Wir haben eine Zukunft vor uns." Davon ließ sich der ehemalige israelische Präsident Shimon Peres, der in dieser Woche verstorben ist, in den Beziehungen Israels zu Deutschland leiten. Zwar haben Bulgarien und sein Nachbarland Mazedonien Gott Lob keine so grausame und schwierige gemeinsame Vergangenheit, doch Sofia und Skopje sollten sich diesen Satz eines weisen und erfahrenen Politikers einprägen. Und befolgen.

Letzte Woche tobte auf beiden Seiten der Grenze zwischen Bulgarien und Mazedonien der nationalistisch angehauchte Populismus. Denn auf dem heute in Mazedonien liegenden Gipfel Kajmakčalan hatten ehemalige bulgarische Offiziere eine Gedenktafel an die im Ersten Weltkrieg gefallenen bulgarischen Soldaten aufgestellt. Die Schlacht um Kajmakčalan ereignete sich Ende September 1916 und auf beiden Frontlinien kämpften Soldaten der Königreiche Serbien und Bulgarien. Auf der angebrachten Gedenktafel stand geschrieben: "An die Gefallenen um die Wiedervereinigung Bulgariens".

PrivatarchivDie Gedenktafel stand, denn es gibt sie nicht mehr – just am Tag der Unabhängigkeitserklärung Bulgariens am 22. September hat sie der mazedonische Journalist Milenko Nedelkowski mit Hammer und Fußtritten demoliert. Diese Tat wurde dank der sozialen Netzwerke bekannt, denn er stellte sein selbst gedrehtes Demontagevideo ins Netz. In Bulgarien ging eine Welle der Entrüstung los, was sich denn diese Mazedonier erlauben und wie erbärmlich sie doch alle seien. Sogar Ministerpräsident Borissow mischte sich ein, und forderte die mazedonische Regierung auf, sich zum Vorfall offiziell zu äußern. Und das tat Skopje auch: Aus dem mazedonischen Außenministerium hieß es aber lediglich, Bulgarien solle sich an internationalen Vorschriften halten, wenn Gedenktafeln irgendwo im Ausland angebracht werden. Denn die Aufstellung der Gedenktafel war von den mazedonischen Behörden nicht abgesegnet worden.

Die Reaktion des mazedonischen Außenministeriums hat die empörten Nationalisten diesseits der Grenze natürlich nicht ruhig gestellt, ganz im Gegenteil. Von einem "wiedervereinigten Bulgarien" zu sprechen, ist zweifelsohne eine Provokation, denn das bedeutet schlicht und einfach, dass man die jetzige Grenzziehung nicht akzeptiert. Aber auch die Antwort auf die Provokation, die Gedenktafel zu demolieren und damit zu stolzieren, ist genauso wenig mutig. Und so wird es weiter gehen, bis der nächste historisch angehauchte Zwischenfall kommt. Wenn man sich dazu noch die aktuelle politische Lage in der Region, und konkret in beiden Ländern, anschaut, dann verheißt es nichts Gutes für die Beziehungen zwischen dem beiden Nachbarn – in Bulgarien stehen Wahlen bevor, und Mazedonien steckt in einer sich über Jahre hinziehenden Regierungskrise. Solche Zwischenfälle heizen die Stimmungen nur noch an. Ein Präsidentschaftskandidat in Bulgarien nutzte das Thema sofort aus, um bei Nationalpopulisten zu punkten. Und in Mazedonien arbeitet man spätestens seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 eifrig daran, eine nationale Identität aufzubauen, die nur darauf beruht, mit Bulgarien nichts gemeinsam zu haben. Das historische Gedächtnis bleibt dabei auf der Strecke. Doch, genau darum ging es schließlich allen Beteiligten, oder?

Schaut man weiter westlich in Europa, sieht man einen ganz anderen Umgang mit der Geschichte. So stand 2015 ganz im Zeichen des Ersten Weltkrieges. Niemand nutzte den 100. Jahrestag aus, um zu provozieren, sondern um nachzudenken und die Vergangenheit aufzuarbeiten. An den neuen und alten Gedenktafeln entlang der deutsch-französischen Grenze steht "Nie wieder Krieg", und nichts über neue Grenzen. Im Mittelpunkt stehen die Tragik und die Sinnlosigkeit des Krieges.

Aber auch das gehört gesagt: Mit Spannung geladen sind nur die offiziellen Beziehungen zwischen Bulgarien und Mazedonien. Unter den Menschen ist es Gott sei Dank anders. Es fragt sich nur, warum die politischen Eliten in beiden Nachbarländern diese positive Voraussetzung im Namen der Partnerschaft nicht nutzen? Warum bleiben gemeinsame kulturelle und wirtschaftliche Projekte auf der Strecke? Ist es so schwierig, über die Jahrzehnte lang betriebene politische Gehirnwäsche hinweg zu schauen? Aller Anfang ist schwer, aber der erste Schritt ist längst fällig.



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