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Das Überleben der Positiven

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Die Lieblingshelden vieler bulgarischer erotisch angehauchter Witze, der kleine Iwan und die kleine Maria, sind auch Haupthelden eines „Handbuchs zum Überleben (oder nicht) von Positiven“, das von der Bulgarischen Vereinigung für Familienplanung herausgegeben wurde. Dessen Autoren sind Milen Tschawrow, der sich seit Jahren mit den Problemen HIV-positiver und AIDS-kranker Menschen befasst und sich für die Rechte der Patienten stark macht, und Iwana Murdschewa, Rechtsberaterin bei der Stiftung „Hoffnung gegen AIDS“.

Ursprünglich sollte unser Buch trockene Ratschläge zum Überleben von HIV-infizierten Menschen enthalten. Mir persönlich hat diese Idee aber nicht zugesagt“, gesteht Milen Tschawrow.

Und so erwachen die Geschichten des kleinen Iwan und der kleinen Maria zu neuem Leben. Ihre Helden können arm oder reich, prominent oder völlig unbekannt, gelehrt oder ungebildet, Klein- oder Großstadtbewohner sein. Eines haben sie aber alle gemeinsam – sie werden ironisch als „positive Patienten“ bezeichnet und müssen mit dem HIV-Virus leben. Ihre wahren Geschichten sind in einem Stil gehalten, der extrem unterhaltsam sein könnte, würden nicht Wut und Trauer dahinter stecken. Gesammelt wurden diese Lebensgeschichten im Laufe von 20 Jahren. Nun hat man sie veröffentlicht, um uns Wahrheiten vor die Augen zu halten, von denen wir uns in der Regel abwenden, da wir meinen, das sei das Leben der Anderen, die uns nichts angehen. Die anderen, die wie unnötiger Ballast von einem Krankenhaus ins nächste geschoben werden, die oft nicht zum Arzt vorgelassen werden, weil urplötzlich ein ganz dringender „Notfall“ auftaucht. Diese Stories schildern das „Leben des Positiven“, das in eine Reihe von Komplikationen ausartet, was aber jeden von uns treffen könnte. Das sind Geschichten über Mut und Verzweiflung, über den Kampf gegen die Stigmatisierung, die sich in unserer Gesellschaft über all die Jahre zäh gehalten hat. Nicht von ungefähr merken die Autoren nach einer der vielen traurigen Geschichten an: „Jede Ähnlichkeit mit realen Personen und Begebenheiten ist genauso zufällig wie die Ähnlichkeit des Staates, in dem wir leben, mit einem europäischen Staat.“

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Wir sind es leid Müttern zu begegnen, die ihre Kinder nicht in einen Kindergarten schicken wollen, der von einem Kind besucht wird, dessen Mutter vielleicht als HIV-positiv diagnostiziert wurde. Es gibt Ärzte, die sich weigern, lebensrettende Operationen vorzunehmen, weil sie gehört haben, der Patient könnte vielleicht HIV-infiziert sein. Wir wissen, dass Personen, die ihren Arzt oder Zahnarzt darüber informieren, dass sie HIV-positiv sind und momentan eine antiretrovirale Therapie durchführen, von den Medizinern einfach die Tür gezeigt bekommen. Das ist selbstredend dafür, in welch hohem Maße die bulgarischen Mediziner, die wissen, worum es sich dabei handelt, auf welchem Weg die Ansteckung erfolgt und was sie als Ärzte in solchen Fällen zu tun haben, keinerlei Mitgefühl mit diesen Menschen zeigen“, sagte während der Buchpräsentation Prof. Radka Argirowa, Vorsitzende der Bulgarischen Gesellschaft für medizinische Virologie und Mitglied der International AIDS Society. Und weiter sagte sie:

Es gibt die wissenschaftliche Disziplin Epidemiologie und es gibt konkret auch die infektiöse Epidemiologie“, sagt Prof. Argirowa. “In den Lehrbüchern für dieses Fach steht bis auf den heutigen Tag, wie man Infektionskrankheiten behandelt und zwar: erstens deckt man den Erreger auf, zweitens isoliert man den Krankheitserreger und drittens isoliert man die Person, die ihn trägt, damit sich die Infektion nicht weiter ausbreiten kann. Wogegen kämpfen wir aber eigentlich an? Gegen die Person oder gegen den Virus? Trotz unserer 30jährigen Erfahrungen scheinen wir eher gegen die Menschen anzukämpfen, die den AIDS-Erreger tragen. So darf das nicht weiter gehen“, betont Prof. Radka Argirowa.

Vor genau 30 Jahren wurde in Bulgarien der erste HIV-positive Patient diagnostiziert. Heutzutage steckt sich weltweit alle 6 Sekunden jemand mit dem HIV-Virus an. Wie sieht es in Bulgarien aus? Laut Angaben des Gesundheitsministeriums per 25. November 2016 haben sich 88 Prozent der neuen HIV-Träger in Bulgarien auf dem Geschlechtsweg mit dem Virus infiziert. Seit Jahresanfang wurden 193 neue HIV-Fälle diagnostiziert. Die Zahl der offiziell in Bulgarien registrierten HIV-Träger beläuft sich momentan auf 2.460. Es hält sich der Trend, dass die Zahl der neu registrierten Männer fünf Mal größer ist als die der Frauen. Am meisten betroffen sind dabei Menschen im Alter zwischen 30 und 39 Jahren.

Übersetzung: Rossiza Radulowa



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