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Bistra Johnson: Die Erkundung der Vergangenheit einer Stadt ist ein echtes Abenteuer

Bistra Johnson ist mit den Projekten und dem Archiv ihres Vaters Jordan Tangarow (1928–2015) aufgewachsen, der zu den anerkannten Architekten und Urbanisten Bulgariens gehörte. Daher war es für sie eine Selbstverständlichkeit, Bauingenieurin zu werden. Das Schicksal wollte es aber und sie heiratete einen Briten und zog mit ihm nach Westeuropa. Heute lebt sie in Paris und widmet sich seit einigen Jahren dem Schreiben, das ihr zunehmend mehr Freude bereitet. Ihr neuestes Buch ist auf Englisch, handelt aber von ihrer Geburtsstadt Sofia: „The City That Does Not Age: The History of Sofia“ – auf Deutsch: „Die nicht alternde Stadt – Geschichte Sofias“. Das Buch lädt zu einer fesselnden Reise durch die Geschichte der altehrwürdigen Stadt ein, die Teil des Römischen, des Byzantinischen und des Osmanischen Reiches war und natürlich zu den Reichen der Bulgaren gehörte.

Was hat Bistra Johnson gerade dieses Thema wählen lassen? Im Gespräch mit ihr verriet sie uns, dass sie der bulgarische Archäologe Georgi Kitow inspiriert habe. Das war im Jahre 2004 – vier Jahre vor seinem unerwarteten Tod.

Mich machten die großen archäologischen Entdeckungen im Tal der Thrakischen Könige auf dieses Thema aufmerksam. Sicher spielte auch das Heimweh eine Rolle“, erzählt weiter Bistra Johnson. „Ich war von den Funden begeistert und schrieb eine Kurzerzählung zu diesem Thema. Mein Mann war von der Geschichte sehr angetan und riet mir, darüber ein Buch zu schreiben. So wurde der historische Roman „Die thrakische Prinzessin“ geboren. Darin sind Fantasy-Elemente eingewoben, jedoch mit Maßen. Es folgten „Märchen aus der Zukunft“ – eine Science-Fiction-Chronik und „Die Geheimnisse des Loire-Tals“ – ein Buch, das die Geschichte des Tals dieses großen französischen Flusses in der Zeit der Renaissance erzählt.

СнимкаNeugierig macht auch der Titel ihres neuesten Buches, das voll und ganz Sofia gewidmet ist.

Sofia – die Stadt, die nicht altert. Dahin steht eigentlich ein Projekt, das mein Vater und ich vorbereiteten“, erzählt Bistra Johnson. „Ich hatte das große Glück, dass mir sein ganzes Archiv zur Verfügung stand. Er seinerseits sollte den Teil über die emblematischen Gebäude der Hauptstadt verfassen. Leider verstarb er vor zwei Jahren und mir kam die schwierige Aufgabe zu, das Buch allein zu Ende zu schreiben. Es ist kein Lehrbuch – es liest sich leicht und ist für das breite Publikum gedacht. Ich will keinesfalls belehren, sondern Neugierde wecken – der Leser soll dann weitere Dinge für sich entdecken. Die Erkundung der Vergangenheit einer Stadt ist meiner Ansicht nach ein echtes Abenteuer. Als ich am Buch arbeitete, stieß ich auf ein Menge zumindest mir unbekannter Tatsachen. Alle sind äußerst interessant. Nennen will ich zum Beispiel die Lobeshymne auf den römischen General und späteren weströmischen Kaiser Anthemius aus dem 5. Jahrhundert, der die Hunnen aus der Stadt Serdika, wie damals Sofia hieß, wieder vertrieb. Die Eindringlinge hatten sich der Stadt bemächtigt und sich im Winter 466/67 hinter ihren Mauern verschanzt. Der Autor der Lobeshymne war kein anderer als Sidonius Apollinaris, der später heiliggesprochen wurde. Wenn nicht seine Lobeshymne gewesen wäre, hätte sicher keiner mehr von dieser Schlacht etwas gewusst. In das Buch habe ich auch die Eindrücke von Ausländern mit einbezogen, die die Stadt besucht haben. Sie sind teilweise widersprüchlich, aber stets interessant. Jedem ist etwas anderes aufgefallen. Sei es der byzantinische Höfling Gregorios Antiochos, der sich in einem Brief über die Probleme beschwert, auf die er in der Stadt gestoßen ist und später das Gesagte bereut, oder die englische Aristokratin Lady Montagu, deren erotische Beschreibung eines Besuches des türkischen Bades in Sofia im Jahre 1717 höchst wahrscheinlich den französischen Maler Ingres zu seinem berühmten Bild von einem türkischen Bad inspiriert hat. Ich zitiere auch einen französischen Adligen, der sich 1782 in Sofia aufhielt. Er fand die hiesigen Mädchen keineswegs kokett – das Einzige, womit sie kokettierten war das Kämmen ihrer bis zu den Fersen reichenden Haare.“

Heutzutage sehen wir in den verschiedenen Städten vor allem touristische Destinationen. Sofia macht da keine Ausnahme, die unter den Globetrottern zunehmend populärer wird. Die meisten Besucher wissen aber wenig über die Stadt selbst und ihre Vergangenheit.

Das ist ein Problem, denn es gibt auch wenig Literatur zu diesem Thema“, ist Bistra Johnson überzeugt. „Aus diesem Grunde finde ich, dass mein Buch recht am Platz ist. Vor einiger Zeit bin ich auf die Meldung gestoßen, dass Sofia zu den billigsten Städten nicht nur Europas, sondern weltweit gehört. Ich denke aber, dass es hier mehr gibt, als nur billiges Bier und billige Hamburger.

Übersetzung: Wladimir Wladimirow

Fotos: Privatarchiv



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